Baden in Ideen

Wie im Badehaus Maiersreuth neue Räume für Kreativität entstehen

Ein Ort für Kultur und Kreativität soll das alte Badehaus im Ortsteil Maiersreuth sein – mitten auf dem oberpfälzischen Land. In einer Ausstellung erzählten etwa über 700 Wanderstöcke die Lebensgeschichten ihrer vorherigen besitzenden Menschen. Doch nicht nur die Installation des bekannten Künstlers Daniel Spoerri zeigte den Besuchern Geschichten. Vielmehr erzählt das Badehaus seine eigene Geschichte. Im aktuellen Kapitel geht es darum, wie Kultur und Kreativität einen besonderen Raum beleben und damit einen ganzen Ort beeinflussen. Und wie der Verein und das Projekt in diesem Jahr den Staatspreis für bayerische Kreativorte gewinnen.

Ihr Klackern lässt sich zuerst beim Eintritt hören: 700 Wanderstöcke, 700 Lebensgeschichten. Aufgehängt zu einer Art Wolke über dem kleinen Becken. Die Besuchenden haben sich am Rand verteilt. Im Wasser arbeitet eine Pumpe. Es plätschert nicht, das Wasser bewegt sich fast lautlos. Die Menge der Stöcke, die Art der Anordnung, das Wasser – all das beeindruckt. Es handelt sich um eine vierwöchige Ausstellung des bekannten Schweizer Künstlers Daniel Spoerri im Badehaus Maiersreuth in Bad Neualbenreuth vor einem Jahr. Und Teil eines Neuanfangs an diesem Ort, angestoßen durch den Verein Badehaus Maiersreuth e.V. Kultur und Kunst mitten in der ländlichen Oberpfalz verbunden mit der Idee, dass in diesen besonderen Räumen auch etwas besonderes Neues entstehen kann. Mit dem Charme der Badehalle.

Viele Besuchende spazieren langsam um das Becken. Bald sehen sie keine Masse an Wanderstöcken mehr, sondern ihr Blick richtet sich auf die einzelnen Stöcke. Vor der Tür des alten Badehauses tauschen sich Besuchende aus. Wanderstöcke, sowas haben sie doch Zuhause. Und darum geht es: Alltagsgegenstände in Kunst umwandeln. Neue Perspektiven auf bekannte Dinge und die Welt eröffnen. Das mussten die Menschen in Bad Neualbenreuth schon einmal in viel größerer Dimension tun. Mit Folgen bis heute.  

Ruinen für Jahrzehnte

Von der größten Baustelle Bayerns zu einer der größten Bauruinen der Bundesrepublik: Der Ort Neualbenreuth grenzt an Tschechien. Die Heilbäder des Nachbarlandes, Marienbad und Karlsbad, verschwinden nach dem Zweiten Weltkrieg hinter dem Eisernen Vorhang. Doch in Neualbenreuth entsteht kurz darauf eine Vision: Eine der größten Kur-Einrichtungen der Bundesrepublik soll hier entstehen, in einem Ort mit gerade einmal 800 Einwohnern. Man sucht und findet das gleiche Heilwasser wie in Tschechien – zum Beispiel radonhaltiges Thermalwasser, das bei schmerzlindernden Therapien eingesetzt wird.

Das geplante Sibyllenbad, es soll Maßstäbe setzen, heißt es damals. Doch bald geht nichts mehr. Anfang 1972 steht die Baustelle still. Bald berichtet sogar das Nachrichtenmagazin Der Spiegel unter der Überschrift: „Geld für Ruinen“. Am Ende bleibt eine Großbaustelle, deren Überreste noch Jahrzehnte später in der Landschaft stehen. Viele Menschen verlieren ihr Geld. Doch die Neualbenreuther halten an dem Ort für Kur und Gesundheit fest. Mit einer neuen Perspektive.

Kreativität, die Land und Leute verändert

Ende der Achtzigerjahre bauen sie an das alte Schulhaus im Ortsteil Maiersreuth ein Badehaus. Der Erfolg gibt ihnen schnell Recht: Schon im ersten Jahr nach der Eröffnung besuchen über 25.000 Gäste das Badehaus. Es ist oftmals brechend voll. Nach ein paar Jahren zwingt dieser Erfolg die Gemeinde zu einer erneuten Veränderung: Neualbenreuth braucht eine größere Kur-Anlage.

In den Neunzigerjahren entsteht das heutige Sibyllenbad. Das kleinere Badehaus hält anfangs noch als Ausweichort her, wenn die Reinigung der großen Anlage ansteht. Doch was die restliche Zeit damit tun? Oder das Gebäude gleich abreißen? Ein Problem, vor dem auch andere Orte in Deutschland mit kaum bis gar nicht genutzten Bauwerken stehen.

Vor vier Jahren gründet sich der Verein Badehaus Maiersreuth e.V. mit einer eigenen Vision: Das ehemalige medizinische Badehaus wieder zu neuem Leben erwecken. Kunst, Theater und Musik stehen auf dem Programm. Schnell wurde aus der Badehalle Bühne, Tanzfläche, Raum für Konzerte und Kunst gleichermaßen. Der einmalige Charakter dieses Ortes ist auch ausschlaggebend für die Verleihung des Staatspreises für bayerische Kreativorte an den Verein Badehaus Maiersreuth e.V.

Als der Verein mit seiner Arbeit im Badehaus beginnt, da scheint es, als hätte jemand gerade erst den Stöpsel aus dem Becken gezogen, sagt Susanne Neumann. Früher kurte sie mit ihrer Großmutter im Badehaus, ihre Familie ist in der Region verwurzelt. Der Zusammenhalt im Ort ist aus ihrer Sicht generell groß. Ein Treffen von Künstlerinnen und Künstlern im Sommer 2020 vernetzt Akteure überregional. Ein Jahr später folgt die Ausstellung von Daniel Spoerri. Und im Herbst 2021 strahlt die Kreativität direkt in die Landschaft: Künstlerinnen und Künstler aus Österreich, Deutschland und der Schweiz transformieren Jägersitze zu Kunstobjekten. Wer auf dem besonderen Wanderweg spaziert, kann in der Abenddämmerung einen pinken Jägersitz mitten im Feld entdecken, stößt auf einen Satz gelber linker Ohren an zwei weiteren Sitzen oder findet einen Ansitz am Wegesrand dicht verwoben in ein Fadennetz. Kreativität, die auffällt. Kreativität, die bewegt. Kreativität, die verändert. Nicht nur die Betrachtenden, sondern auch den Ort.  

„Unwirksam zu gehen ist nicht günstig“

„Wir wollen sowohl zeitgenössische Kunst zeigen als auch die Bevölkerung mitnehmen“, so Neumann. Durch Alltagsgegenstände wie den Wanderstock lässt sich der Zugang zur Kunst erleichtern und die Geschichte hinter dem Gegenstand wird umso spannender. „In jedem dieser Stöcke steckte eine Lebensgeschichte“, sagt Neumann. „Jeder Stock ist individuell gestaltet. In der Masse wirkte es auch dann wie ein surreales Objekt.“

Für das Projekt ruft der Verein damals die Neualbenreuther zum Mitmachen auf, eine Stockbox steht bereit, die Leihgaben der Bewohner entgegenzunehmen. Auch Bürgermeister Klaus Meyer gibt einen Wanderstock für die Installation. „Unwirksam zu gehen ist nicht günstig“, so heißt die Ausstellung des Künstlers Spoerri, die vom 17. Juli bis zum 15. August 2021 im Badehaus zu sehen war.

Die Ausstellung des namhaften Künstlers ist eins von vielen Projekten und Aktionen im Badehaus Maiersreuth. Kreative, Theaterleute, Autorinnen und Autoren treffen hier heute aufeinander, vernetzen sich und stehen im Austausch – mit sich, mit den Kur- und Feriengästen im Ort. Ideen entwickeln und Kraft schöpfen, dies verbindet sich in dem kleinen Badehaus. Die Kreativwirtschaft findet besonders fruchtbare Ansätze. Weil sie hier kaum jemand vermutet.

Faktor für den Ort

Bad Neualbenreuth bietet eine spannende Geschichte und beeindruckende Landschaften. Das wissen nicht nur die Künstlerinnen und Künstler. Das neue Sibyllenbad ist ein Wirtschaftsfaktor, der vom Kunstprojekt Badehaus profitiert – und umgekehrt. Urbanes Flair und Kultur finden Platz im Ort, durch geführte Wanderungen und Kurbaden im Zusammenhang mit Kunst und Kultur entstehen Synergien.

Klaus Meyer ist seit 2014 Bürgermeister von Bad Neualbenreuth. „Kultur ist bei uns ausgeprägt“, sagt der 57-Jährige. „Es heißt ja oft vom Land, dass der Joghurt mehr Kultur habe. Aber das stimmt nicht.“ Es gebe zwar zahlenmäßig mehr Kultur in Ballungsräumen. Doch qualitativ ist die Kultur in Bad Neualbenreuth mindestens genauso stark. Die Träger der Kultur sind laut Meyer die Vereine, die sie auch an die jüngeren Generationen weitergeben. Der Musikverein Ernestgrün trägt etwa mit seiner Blaskapelle die bayerisch-böhmische Liedkultur weiter.

 „Für jede Destination, wie wir es mit dem Sibyllenbad und Bad Neualbenreuth haben, muss das Gesamtpaket passen.“ Die Gäste und die Bewohner erwarten etwas von dem Ort. „Die Kulturszene, die hier entsteht, ist etwas ganz Besonderes.“ betont Klaus Meyer immer wieder. Weil er an das Kunstprojekt Badehaus glaubt. Weil diese Kulturszene für weitere Aufmerksamkeit sorgen kann. Weil solche Projekte die ganze Gesellschaft vor Ort beleben. „Die Menschen wollen Dinge in ihrer Freizeit tun, die vom Alltagsstress ablenken, bei denen sie sich erholen. Und da ist so ein Projekt vor Ort einfach Gold wert“, so Meyer.

Für den Tourismus ist das Kunstprojekt Badehaus laut Neumann mittlerweile ein wichtiger Teil des Ortes. „Es wandern und radeln viele Leute vorbei und kommen mit uns ins Gespräch. Die Kurgäste und Wandernden sind neugierig und immer erstaunt über das, was sie bei uns zu sehen bekommen“, sagt Neumann. Ein Kneippweg gehört zum Badehaus, der ebenfalls gut angenommen wird. Neben dem Ausstellungsprogramm will der Verein auch bald Workshops mit Übernachtungen anbieten. Vereine und Firmen können die Badehalle zudem anmieten. Diese Mischform soll die Zukunft sichern.

Zur Ruhe kommen

Derzeit saniert Bad Neualbenreuth den Gebäudekomplex noch für den neuen Zweck. Danach steht das Ensemble dem Verein zur Verfügung. In der Badehalle selbst gab es nur wenige Arbeiten – weshalb das kaum Einfluss auf Ausstellungen und Aktivitäten hatte. Bald sollen im Schulhaus Künstlerinnen und Künstler temporär die Räumlichkeiten beziehen und ihrer Arbeit nachgehen. Bei der Sanierung im Schulhaus entstehen deswegen derzeit vier Zimmer, zwei davon als Ateliers. Im Dachgeschoss soll es zudem ein Wohnatelier geben. Ins Erdgeschoss kommt eine Küche.

Ein aufregendes Kunstprogramm soll sich festigen. Davon profitiert nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Künstlerinnen und Künstler selbst: Durch das Landleben können sie sich zurückziehen, abseits des Lärms der Städte an ihren Projekten arbeiten. Zur Ruhe kommen. Denn nicht nur der Körper soll sich in Bad Neualbenreuth entspannen, sondern auch der Geist, sagt Susanne Neumann.

Den Blick schärfen. Seine Umwelt aus einer anderen Perspektive wahrnehmen. Das schafft das Kunstprojekt Badehaus in seinem Ort und darüber hinaus.