Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist Deutschlands drittbedeutendste Branche. Wie stark sie Industrie und Gesellschaft beeinflusst, ist jedoch nur wenig bekannt. Ein Blick auf Entwicklungen der Künstlichen Intelligenz zeigt, dass die „KKW“ oft einen Schritt voraus ist.

Die Kultur- und Kreativwirtschaft hat in den letzten Jahren viele innovative Ideen hervorgebracht, die die Wirtschaft und Gesellschaft prägen“, so die sachliche Antwort, wenn man ChatGPT zur Leistungsfähigkeit der KKW befragt. In der Folge zählt der Chatbot fünf verschiedene Innovationsbereiche auf, von virtueller Realität über Sharing Economy und Open-Source-Software bis hin zu Nachhaltigkeitslösungen, bis er mit dem Ausblick schließt: „In Zukunft werden die Innovationen in der Kultur- und Kreativwirtschaft wahrscheinlich weitergehen. Neue Technologien und Werkzeuge werden entwickelt werden, um die kreative Arbeit zu erleichtern, während gleichzeitig ein stärkerer Fokus auf Nachhaltigkeit und sozialer Verantwortung besteht. Die Kultur- und Kreativwirtschaft wird auch weiterhin einen wichtigen Beitrag zur Wirtschaft und Gesellschaft leisten, indem sie Arbeitsplätze schafft, das kulturelle Erbe bewahrt und eine positive Wirkung auf das Gemeinwohl hat.“ Die KI hinter dem gehypten Chatbot weist der Kultur- und Kreativwirtschaft – kurz KKW – mit Blick auf Innovationen also eine bedeutende Rolle in Wirtschaft und Gesellschaft zu.

Gerade mit Blick auf den Einsatz von KI kann die KKW in Zukunft ein bedeutender Innovationstreiber sein. Entscheidend ist dafür vor allem die Haltung der Kreativschaffenden: Wenn die KI weniger als Bedrohung der eigenen Arbeit oder Ersatz menschlicher Schöpfung verstanden und eingesetzt wird, sondern vielmehr als Chance, um neue Spielräume für das eigene gestalterische Tun zu erschließen, dann kann KI die Innovationskraft der KKW sogar noch verstärken.“

Oliver Wittmann, Leiter des Bayerischen Zentrums für Kultur- und Kreativwirtschaft (bayernkreativ), weiß um die Potenziale „seiner“ Branche

neue Spielräume

Und neue Spielräume tun sich in der Tat auf: Das KI-gestützte Instrumentarium für kreatives Arbeiten ist mittlerweile riesengroß. Das wird auf Plattformen für KI-basierte Instrumente wie zum Beispiel Futurepedia sichtbar. Sie listet knapp 50 Kategorien mit mehr als 1.200 KI-Instrumenten auf, darunter Werkzeuge für die Kreation von Bildern, Musik, Literatur oder Innenarchitektur genauso wie für Werbung und E-Commerce, aber auch für Vertrieb, Customer Support, Finanzen und HR. Mit diesen Tools könnten zukünftig alle Prozessschritte der Wertschöpfungskette, auch die der kreativen Produktion vor- und nachgelagerten Tätigkeiten, mithilfe von KI-Instrumenten unterstützt, ergänzt oder sogar (fast) vollständig von KI übernommen werden. Doch noch sind nicht alle dieser KI-Instrumente ausgereift. Interessant ist jedoch, dass sie das gar nicht sein müssen. Denn die meisten Tools werden laufend weiterentwickelt, und ihre Nutzung erleichtert bereits jetzt viele Arbeiten. Einige Kreativschaffende nutzen Chatbots und lassen sich Texte auswerfen, die dann die Basis für die weitere Textproduktion werden. „ChatGPT ist für mich ein spannender Sparringpartner, der helfen kann, für die Zielgruppe relevanten Marketing-Content effektiv, qualitativ hochwertig und in der richtigen Tonalität zu erstellen“, schildert die Augsburger Texterin Birgitta Reitschuster ihre Erfahrungen. „Mit einer durchdachten Konzeption, dem Arbeiten mit Workflows und intelligenten Eingabebefehlen sind wir auf dem richtigen Weg.“

Die Expertinnen und Experten von bayernkreativ sind sich sicher, dass Chatbots wie ChatGPT zwar keine erschöpfenden Antworten geben, jedoch vielfältige und hochkomplexe Zusammenhänge verständlich darstellen können. Die Resultate beeindrucken deswegen so, weil sie eben nicht nur Kausalitäten erläutern, sondern auch subtile Sinnzusammenhänge erfassen. Damit treffen sie mitten in den Wesenskern der KKW, denn sie schaffen Zugänge zur Komplexität der heutigen Welt. Die KI erschließt mittlerweile einen Raum, der gerade als Betätigungsfeld für Kultur- und Kreativschaffende relevant ist: Die Welt nicht in schwarz-weißen Schemata zu erfassen, sondern sie in ihrer widersprüchlichen Vielgestaltigkeit darzustellen und begreiflich zu machen. Gerade das kann es so interessant machen, aus der KKW heraus Innovationen (mit) zu entwickeln.

Einsatzfähig trotz Unvollkommenheit

Dass mit aktuellen KI-Instrumenten keine vollständig fertigen Produkte auf den Markt gebracht werden, ist in vielerlei Hinsicht spannend, aber auch eine Herausforderung: KI-Instrumente sind bereits in ihrer Unvollkommenheit in vielen Fällen ready-to-use, werden verwendet und über die tägliche Anwendung stetig weiterentwickelt, je nach Lernmodus der KI. Auch die Forschung nutzt diese Prozesse: Universitäre Forschung und Anwendung durch die Nutzerinnen und Nutzer passieren vielerorts gleichzeitig – und befruchten sich damit auch wechselseitig. Ein KI-Instrument im Kulturbereich, das bereits im Schaffensprozess angewendet, gleichzeitig aber noch immer beforscht wird, ist Stable Diffusion. Der an der Ludwig-Maximilians-Universität München entwickelte Text-zu-Bild-Generator wird mittlerweile weltweit eingesetzt.

Die Arbeitsgruppe „Computer Vision & Learning“ um Prof. Björn Ommer hat den Algorithmus geschrieben und trainiert, der Bilder aus kurzen Textteilen generieren kann. Unter einer „CreativeML Open RAIL-M-Lizenz“ wurde die Software bewusst quelloffen veröffentlicht, einerseits, um die KI weiter zu trainieren, und andererseits, um auch die Forschung an ihr und ihre Anwendung auf breitere Füße zu stellen.

Mich hat besorgt, dass einige wenige Firmen eine Technologie in der Hand halten, die für unsere Gesellschaft eine hohe Relevanz hat. Deswegen war es uns wichtig, nicht nur die Anwendung dieser Technologie zu demokratisieren, sondern auch die Forschung an diesem Modell. Wir wollten eine offene Plattform schaffen, ähnlich wie die von Linux. Natürlich haben wir jetzt nicht mehr völlig in der Hand, wie die Entwicklung weitergeht. Aber ich denke, es war der richtige Zeitpunkt, um die Awareness für das Potenzial dieser Technologie – positiv wie negativ – zu schaffen. So können wir als demokratische Gesellschaft diskutieren, was sie für die Zukunft bedeuten kann und soll.“

Prof. Björn Ommer

Text-to-image-Software wie Stable Diffusion oder Dall-E funktioniert zwar noch nicht perfekt, wird in naher Zukunft aber Bilder generieren, die zeitaufwendige Fotoproduktionen in der Mode, Illustrationen und Bildmaterial für Kataloge und Webshops revolutionieren könnten. Auch künstlerische Produktion kann über Text-zu-Bild-Generatoren wie Stable Diffusion KI-gestützt funktionieren: Modelle und Ideen können schneller erprobt, ästhetische Farb- und Formenwelten ausprobiert werden – auch von Laiinnen und Laien. Die KI kann hier den Prozess der Wertschöpfung direkt in der Phase der Kreation unterstützen. Dabei spielen menschliche und künstliche Schöpfungskraft direkt zusammen: Die Bildanfragen denkt sich ein Mensch aus – der Computer liefert unterschiedliche mögliche Bildwelten dazu.

Selbstspielender Flügel

Das Verhältnis von künstlicher und menschlicher Kreativität ist auch ein Forschungsgegenstand im Bereich der Musik. Im Projekt „Spirio Sessions“ erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Hochschule für Musik in Nürnberg und des Kompetenzzentrums für Künstliche Intelligenz (KIZ) der Technischen Hochschule Nürnberg das Zusammenspiel von KI und menschlicher Kreativität. Bei der gemeinsamen Jazzimprovisation werden unterschiedliche Systeme mit maschinellem Lernen darauf trainiert, live mit Jazzmusikerinnen und -musikern zu spielen. Im Mittelpunkt steht der selbstspielende Flügel „Spirio R“, ein analog-digitales Instrument. Das Projekt hat zum Ziel, datenbasierte Einblicke in die kreativen Prozesse bei der Musikinterpretation zu ermöglichen. Darüber hinaus werden aber auch größere Fragen, wie nach dem Wesen menschlicher Kreativität, aufgeworfen. Projektleiter Prof. Dr. Korbinian Riedhammer sieht einen besonderen Reiz in diesem Zusammenspiel von Musik und KI: „Wir arbeiten an einem komplexen interaktiven Setting, wo Zeitreihenanalyse und Deep Learning mit künstlerischer Freiheit und Ausdruckskraft verschmelzen sollen. Diese gemeinsame Entdeckungsreise schärft unsere interdisziplinären Kompetenzen.“ Nicht zuletzt erhofft sich das Team um Prof. Riedhammer Erkenntnisse, die sich auch auf andere Gebiete und Anwendungen übertragen lassen, wie zum Beispiel in der Medizin. Das LEONARDO-Zentrum in Nürnberg, in dessen Rahmen das Projekt stattfindet, ist dabei zentraler Knotenpunkt, um weitere universitäre Forschungsbereiche an dieses Projekt heranzuführen.

Ist die KKW also ein Innovationstreiber? Oliver Wittmann ist sich sicher: „Wohin wir auch blicken, die Branche ist ein innovationsstrategisch hoch relevanter und vielfältig wirksamer Wirtschaftsakteur. NFTs zum Beispiel werden als Smart
Contracts heute sehr vielseitig verwendet, wurden aber ursprünglich für den Handel mit digitaler Kunst entwickelt.
Game Engines wiederum haben die Entwicklung von Virtual Reality vorangetrieben und machen die Nutzung neuer
Technologien in anderen Wirtschaftsbereichen vielfach erst möglich. Aus dem intensiven Zusammenspiel von Kultur
und Technik öffnen sich völlig neue Räume der Innovation – auch und gerade für Bayern.“

Text-zu-Bild-Generatoren können aus wenigen Begriffen digitale Bilder kreieren, zum Beispiel in unterschiedlichen Stilrichtungen. Die vorgestellten Bildserien im Pop-Art-Stil entstanden mit dem in München entwickelten Tool „Stable Diffusion“.

Für diese Bildserie verarbeitete der Generator die abstrakten Begriffe „art, technology, partnership, pop art“

Für die zweite Bildserie wurden die Begriffe „art, technology, partnership, pop art“
um das Wort „robotics“ ergänzt. Die generierten Bilder ähneln in ihrer Anmutung der
ersten Bildreihe und erscheinen ebenfalls im Pop-Art-Stil

Für die dritte Bildserie wurde der Wortreihe der Begriff „Piano“ hinzugefügt. Mit
diesem sehr gegenständlichen Begriff unterscheiden sich die Ergebnisse deutlich
von den Bildserien 1 und 2. Der Fokus rückt auf den Gegenstand, die abstrakteren
Begriffe rücken in den Hintergrund

Du möchtest selbst KI testen? Wir haben ein paar Tools zusammengetragen, die für dich interessant sein könnten.

Dieser Artikel ist auch in der aktuellen Ausgabe des Innovationsmagazins der Bayern Innovativ GmbH „vernetzt“ erschienen.