#bayernkreativPORTRAIT: Maßschneider Felix Flechtner und seine Kollegen Sebastian und Florian gewinnen dieses Jahr mit einem dreilagigen Wollmantel und Minibag den Gestaltungspreis des mittelfränkischen Handwerks. Wir sprechen mit Felix (unter anderem) über die Auszeichnung, was sein Beruf mit Nachhaltigkeit zu tun hat, welche Zukunftsperspektiven sich für Maßschneiderinnen und Maßschneider auftun und welchen Einfluss die Musikrichtungen Techno und Klassik auf die Gestaltung der Kleidungsstücke der Modemarke NCHTFLTR haben.

NCHTFLTR

© Melanie Gal | von links: Felix, Florian, Sebastian

Lieber Felix, erstmal herzlichen Glückwunsch zum „Gestaltungspreis des mittelfränkischen Handwerks 2022“. Was bedeutet die Auszeichnung für dich und euer Unternehmen Flechtner, Lickteig & Oertel GbR und eure Modemarke Nachtfalter (auch bekannt als: NCHTFLTR)?

Vielen Dank! Für uns alle Drei war es eine große Ehre, dass wir einer der sechs Preisträger beim diesjährigen Gestaltungspreis des mittelfränkischen Handwerks sind. Wir sind durch Zufall erst Ende Januar auf die Ausschreibung gestoßen und haben überlegt, was wir einreichen könnten. Damals arbeiteten wir gerade an einer Minibag und unser Kreativkopf in der Runde, Sebastian, erstellte dann sogleich eine Skizze für den Mantel, der – so die damalige Idee – von der Minibag inspiriert sein sollte. Daraufhin setzte ich die Idee am Schneidertisch um. Dass es dann noch für eine Auszeichnung unseres junges Start-ups „NCHTFLTR“ gereicht hat, macht dieses Projekt unvergesslich für uns.

Dir ist der Nachhaltigkeitsgedanke äußerst wichtig. Wurde die Idee zu mehr Nachhaltigkeit bereits innerhalb deiner Ausbildung zum Maßschneider geprägt und falls ja, warum?

Ja absolut. Als Maßschneider bekommt man durch die Ausbildung sowieso einen ganz anderen Bezug zu Kleidungsstücken und deren Wertigkeit. Nachhaltigkeit ist ein tägliches Thema in allen Ateliers, es wird nur zu wenig kommuniziert, da es für die meisten selbstverständlich ist. Bedeutet: Schon der Beruf eines Maßschneiders/Maßschneiderin ist äußerst nachhaltig. Die Kleidungsstücke werden exakt nach Kundenwunsch und meist nur einmal angefertigt. Bei der Materialauswahl achtet man darauf, hochwertige Stoffe zu verwenden. Es werden höchste Maßstäbe an die Verarbeitung gesetzt. So wird die Langlebigkeit eines Stücks garantiert. Im Gegensatz zur Textilindustrie, die zu den größten Umweltverschmutzern gehört, fällt bei einem Maßschneider so gut wie kein Abfall an. Wir vernichten keine „zu viel“ produzierten Kleidungsstücke, verwenden keine Chemikalien und Färbemittel, die das Wasser verschmutzen.  

Das Motto eurer Modemarke NCHTFLTR ist „Dare to be different“. Der Designstil orientiert sich v.a. an der Subkultur der Techno-Rave-Szene. Inwiefern ist gerade diese Subkultur ein Impuls für eure Philosophie geworden?

Diese Idee entstand – wie so viele – an einem unserer Kreativwochenenden, die es während den Lockdowns zu Hauf gab. Ursprünglich wollten wir unsere erste Kollektion „Butterfly“ nennen. Flo und Sebastian hatten ja bereits die Marke „Flick&Kaxx“ gegründet mit der Philosophie und Idee, jede Kollektion einem anderen Tier zu widmen. So entstand dann nicht nur eine Kollektion, sondern eine zweite Marke namens NCHTFLTR. Die Inspiration durch die Technoszene entstand durch Sebastians und Flos persönliches Interesse an dieser Musikrichtung. Ich stand dem Genre anfangs eher kritisch gegenüber, was sich mittlerweile aber geändert hat. Unsere Kleidungsstücke sind jedoch nicht nur von der Technoszene inspiriert, sondern integrieren immer auch ein elegantes Stilelement. Dieses Stilelement, inspiriert vom Genre Klassik, bringe ich mit in die Marke. Die Kleidungsstücke lassen sich auch bei einem Opernbesuch tragen. Gerade diese Kombination macht uns und unseren Designstil einzigartig. Uns ist wichtig, dass wir uns von den klassischen Technobrands unterscheiden.

Ihr produziert 100% Made in Germany. Eure Materialien sind ausgewählte nachhaltige, teils sogar vegane Textilien (Stw. Kaktusleder). Was denkst du, inwiefern kann ein Unternehmen wie Flick and Kaxx mit der Modemarke NCHTFLTR einen Beitrag zu einem Mentalitätswandel bei den Kund*innen leisten, der wegführt von preiswerter Fast-Fashion und hin zu anspruchsvollerer, hochpreisiger(er) Mode? Und wie spielt da eure Standortfokussierung auf Deutschland eine Rolle?

Zu diesem Thema haben wir uns lang und intensiv Gedanken gemacht und letztendlich den angesprochenen Mentalitätswandel als übergeordnetes Ziel auf unsere Fahne geschrieben. Wir haben uns überlegt: Wie können wir bereits unserer jungen Generation vermitteln, was hochwertige und fair produzierte Kleidung bedeutet? Wie kann diese Generation auch in Zukunft nachhaltig Kleidung konsumieren? Dazu haben wir ein Netzwerk aus Maßschneidern aufgebaut, die uns bei der der Produktion einer Kollektion unterstützen. Natürlich gegen eine faire Entlohnung. Jeder Schneider und jede Schneiderin erhält ein Arbeitspaket von uns, mit einem Plan und einem Musterteil, wie die Stücke genäht werden sollen. Die restlichen Teile können sie dann einfach bei sich vor Ort nähen. Jeder Schneider und jede Schneiderin erhält maximal zehn zu produzierende Teile. So setzen wir auch schon mengenmäßig ganz bewusst andere Maßstäbe als ein industrieller Betrieb. Und die Kundschaft erhält ein rares und hochwertiges Kleidungsstück. All unsere Partnerinnen und Partner sind in Deutschland ansässig. So garantieren wir hier auch kurze nachhaltige Produktionswege. Bis das Umdenken bei allen angekommen ist, wird es noch Jahrzehnte dauern. Aber es ist wichtig, dass einer anfängt und wir denken, unsere Idee hat großes Potenzial.

Die „Deutsche Handwerks Zeitung“ zitiert dich in einem Artikel vom August 2021, dass eure Modemarke NCHTFLTR für Maßschneiderinnen und Maßschneider neue Wege aufzeigen will. Welche neuen Wege sind das? Und wie stellt ihr diese bereit?

Die Frage geht einher mit dem Thema „Maßschneiderei und Zukunft“. Die meisten Menschen haben immer das Bild im Kopf, dass der kleine Schneider in seinem Kämmerlein sitzt und einsam vor sich hinnäht. Oder sie fragen sich, ob es denn überhaupt noch Schneiderinnen und Schneider gibt. Die Antwort, ganz klar: JA! Der Beruf hat sogar weitaus mehr Potenzial, als mancher denkt. Man muss nur offen für neue Wege sein. Zum Beispiel, sich in dem bereits erwähnten Maßschneidernetzwerk zu organisieren. Dieses kann rein theoretisch unendlich vergrößert werden und ermöglicht somit „Handmade in Germany“. Das klingt zwar wieder nach Massenproduktion, gearbeitet wird aber dennoch sehr handwerklich. Durch Aufträge des Netzwerks können Auftragslücken ausgeglichen werden. Außerdem entwickeln wir, um nochmals den Nachhaltigkeitsgedanken aufzugreifen, immer wieder neue Methoden und Wege, um wirklich keinen Müll zu produzieren. So recyceln wir all unsere Abfälle in einer jährlichen ZeroWaste-Kollektion, bei der ausschließlich Unikate entstehen und somit auch wieder der Trend hin zu mehr Individualität verstärkt wird.

Wie wichtig ist euch ein individueller Entfaltungsprozess bei der Kreation neuer Mode und wie generiert die Modemarke NCHTFLTR gerade durch ihr Design für eure Maßschneiderinnen und Maßschneider diese individuelle Entfaltung?

Sehr wichtig. Im Endeffekt ist Maßschneiderei eine Form der Kunst. Natürlich kreieren wir – zumindest bis jetzt – immer tragbare Modelle. Dennoch setzen wir mit unserer Philosophie dahinter ein ganz klares Statement. Unsere Creative Direction gibt uns den Rahmen vor. Wichtige Punkte sind neben der Nachhaltigkeit auch verschiedene Designelemente (z.B.: Contouring, Layering-Look wie bei unserem Mantel, Einsatz bestimmter Zutaten, wie Gurtband, Schnallen oder unsere Nieten) und der Gendershift, bzw. Unisex-Gedanke. Wir sagen ganz klar: „Be yourself; zieh an, worin du dich wohlfühlst und sprenge damit auch gerne gesellschaftliche Konventionen und Normen.“ Für unsere Schneiderinnen und Schneider gestaltet sich vor allem das Nähen mit immer wieder neuen Materialien und Schnittführungen als interessant und abwechslungsreich. Natürlich haben sie keinen Einfluss auf das Design selbst, dennoch profitieren sie von der Zusammenarbeit. Zum Beispiel, indem sie beim Arbeiten an unseren Stücken neue Ideen aufgreifen, für sich nutzen und kreativ umsetzen können.

Die bayerische Kultur- und Kreativwirtschaft ist vital. Kooperativ. Vielstimmig. Und zukunftsrelevant. Wir stellen dir bayerische Akteurinnen und Akteure vor. Wie gestaltet sich deren Geschäftsmodell? Was treibt sie an?

Du möchtest uns auch gerne ein paar Fragen beantworten und Teil unserer Kampagne „bayernkreativPORTRAIT“ sein? Dann schreibe uns gerne eine E-Mail an kontakt@bayern-kreativ.de mit dem Stichwort „bayernkreativPORTRAIT“.