Wie das Brückenkollektiv die Neuburger Innenstadt belebte (und wieder beleben will)
Aus Markt mach Kunst. Aus Kunst mach Leben.
Die Neuburger feierten ihre Eröffnung ausgelassen – vor über vierzig Jahren. Viel hielt sich nicht von der damaligen Euphorie um die Markthalle. Vielmehr verkam das Gebäude zu einem Symbol für Leerstand und Ideenlosigkeit mitten in der früheren Residenzstadt. Was tun? Der Verein Brückenkollektiv verwandelte die Markthalle im vergangenen Jahr drei Monate lang in eine Kunsthalle. Ein Erfolg. Für Verein und Stadt.
Kleinstädte gelten oft als langweilige Orte, in denen höchstens eine alteingesessene Blaskapelle eine Daseinsberechtigung hat. Wie falsch dieses Vorurteil ist, zeigte das Brückenkollektiv in Neuburg. Sie nutzten mit der Markthalle mitten in der Innenstadt ein kaum genutztes Gebäude und machten daraus eine temporäre Kunsthalle für Neuburg. Und vor allem eine Kunsthalle, die so ganz anders als andere Kunsthallen der Republik ist. Weil sich die lokale Kreativwirtschaft in ihr präsentierte und vernetzte.
Als Tobias Albrecht damals kurz vor der Corona-Pandemie aus Wien in seine alte Heimat Neuburg an der Donau zurückkehrte, hatte das Virus noch das letzte Stück Subkultur der Stadt erwischt: „Früher gab es zumindest noch eine Nachtszene.“ Das kulturelle Leben der Stadt mit ihren knapp 31.500 Einwohnerinnen und Einwohnern prägt vor allem das frühere Residenzschloss. In den Räumen befinden sich heute Museen. Alles altbewährte Strukturen. Der Kontrast zu Wien war für Albrecht offensichtlich – und er ahnte eine Lücke, die es zu füllen galt. Was bald entstehen wird, strahlt deutlich über Neuburg hinaus. Angestoßen vom Brückenkollektiv.
„Es ergab für uns alles Sinn.“
„Es ist als Nebenbei-Idee gestartet“, sagt der Vorsitzende des Vereins heute. „Eigentlich ging es mal um Coworking.“ Dies verstand Albrecht als Teil des kulturellen Aspekts. Doch bald kippte der Schwerpunkt komplett auf Kunst und Kultur.
Schnell entwickelte sich also aus der Nebenbei-Idee mehr. Auch weil die Lücke viel Raum ließ: Eine Kooperation und Ausstellung mit der Stiftung Buchkunst entstand, eine digitale Kunstausstellung mit Berliner Künstlerinnen und Künstlern folgte. Alles an verschiedenen Orten in der Stadt.
Das funktionierte sehr gut, es ergab für uns alles Sinn; aber nur in anderer Struktur für uns als Team.
Tobias Albrecht, Brückenkollektiv
Ein Verein musste her, den Albrecht gemeinsam mit Martin Eggert, ebenfalls kreativer Kopf und Geschäftsführer der Malerei Eggert in Neuburg, gründete.
Präsentation überzeugte
Die Geschichte des Vereins Brückenkollektiv, heute beheimatet in Räumlichkeiten an der Donaubrücke, begann so erst vor zwei Jahren. Heute heißt es auf der Website: „Das Brückenkollektiv hat es sich somit zur Mission gemacht kaum genutzte oder leerstehende Orten neuzudenken, Kreativorte zu initiieren und somit Stadtteile in Neuburg zu revitalisieren.“ Und wie aus der Markthalle eine Kunsthalle wurde, ist das perfekte Beispiel dafür, wie Kultur- und Kreativwirtschaft eine Innenstadt bereichern kann.
Viele Mitglieder des Vereins haben eine ähnliche Vita wie Albrecht: Sie kehrten nach mehreren Jahren in anderen Städten zurück nach Neuburg und sahen dort viele Chancen. (Und spürten auch den gleichen Schmerz über die aktuelle Situation.) Ein Workshop der Lokalpolitik gegen die Leerstände in der Innenstadt war so eine Chance . „Um genau zu sein, haben wir durch den Workshop der Stadt gesehen, dass sie sich mit der Thematik Innenstadt beschäftigen“, so Albrecht. „Wir haben das zum Anlass genommen eine Präsentation zu halten, bei der es um Pop-uUp- Konzepte ging, bei der Vereine wie das Brückenkollektiv partizipieren können.“ Die Präsentation überzeugte und die Stadt schlug vor, doch die Markthalle zu nutzen. Und eben diese Markthalle bot das perfekte Sinnbild der aktuellen Situation.
Innovativer Ansatz
Im April 1984 weihten die Neuburger ihre Markthalle ein, damals fielen große Worte über das Gebäude und seine strahlende Zukunft. Gelegen mitten in der Innenstadt, nahe dem Schloss am Schrannenplatz, bot die Halle viel Raum, sollte eine zentrale Anlaufstelle werden.
Den Handel und die Kommunikation werde sie fördern, ein wichtiger Teil der Stadt werden. Mittendrin und das Stadtbild prägen. Doch schon bald verkam die Markthalle zum Ausweichort für Veranstaltungen, das Obergeschoss wird seit Jahrzehnten nicht mehr genutzt. Zu klein für eine richtige Markthalle , heißt es. Das Gebäude erwacht vor allem in der Weihnachtszeit zum Leben, wenn dort Krippenausstellungen und Schlittschuhverleih einziehen. Was also tun?
Im Sommer des vergangenen Jahres verwandelte das Brückenkollektiv die Markt- in eine Kunsthalle. Rund 50 verschiedene Events rund um Kunst und Kultur fanden statt, darunter Ausstellungen zu Fotografie und Malerei sowie Konzerte. „Kostenfrei, für alle zugänglich“, wie es vom Verein hieß. Denn das Kollektiv möchte Brücken schlagen. Menschen zusammenbringen. Weshalb es keine klassischen Ausstellungen waren, bei denen sich die Besuchenden still durch die Gänge mit den Exponaten bewegten.
Was in Neuburg möglich ist
In Vitrinen konnte das Publikum selbst zeichnen oder spielen, Schaukeln luden zum Verweilen ein, Tischtennisplatte und Kickertisch standen bereit, ebenso Couch und Sessel. Zwei Ziele hatten sich die Vereinsmitglieder für diese Aktion gesetzt: Die Leute sollten länger als bei den üblichen anderen Ausstellungen in Kunsthallen bleiben und sie sollten einen Grund haben wiederzukommen. Beides erreichten sie. Über 6.000 Besuchenden aus dem gesamten Landkreis und allen Altersgruppen fanden den Weg in die Kunsthalle. Was sich auch für die Stadt lohnte.
Die Bürger und Gewerbetreibenden haben gesehen, was in Neuburg möglich ist.
Bürgermeister Johann Habermeyer
Aus Sicht der Stadt sei das Projekt sehr produktiv gewesen, belebte die Innenstadt und hielt die Besucherinnen und Besucher auch dort. Der 61-Jährige gibt dem Kollektiv eine gute Prognose für weitere Projekte in der Innenstadt. Auch weil Neuburg seit drei Jahren eine Außenstelle der Technischen Hochschule Ingolstadt mit der Fakultät für Nachhaltige Infrastruktur hat. Und den Studierenden wolle man eine Heimat bieten, die ihnen das gibt, was sie brauchen, so Habermeyer. Dazu gehöre eine vielfältige und junge Kulturszene.
Heute zählt das Brückenkollektiv knapp 50 Mitglieder. Die Auszeichnung mit dem Staatspreis für bayerische Kreativorte verschafft dem Verein neben dem Preisgeld noch einmal mehr Aufmerksamkeit für ihr Projekt rund um die Kunsthalle. Um sich noch mehr mit der regionalen Wirtschaft zu vernetzen. Um weitere Sponsorinnen und Sponsoren zu finden. Denn jetzt geht es vor allem darum, den „Spirit zu bewahren“, wie Albrecht sagt, und eine Wirtschaftlichkeit herzustellen.
Auf einer Mission
Das vorherige Konzept für die Kunsthalle ist durch Auflagen der Stadt zwar nicht mehr möglich, ein neues Konzept für eine Kunsthalle 2.0 erarbeitet der Verein gerade. So soll ab dem nächsten Jahr eine mittel- bis langfristige Nutzung entstehen. Eine dauerhafte Antwort auf die Leerstandsproblematik. Und es soll nicht bei diesem einen neugedachten Ort in der Innenstadt bleiben.
Daneben arbeitet das Brückenkollektiv bereits an weiteren Veranstaltungen in diesem Jahr. Ein Kurzfilmsommerkino in einem alten Altstadtgarten und weitere Konzerte sind in Planung. Dazu entwickelt das Kollektiv eine Klang-Kunstinstallation für den städtisch organisierten Kulturabend Wort-Klang-Bild.
Aber viel wichtiger: Es zeigte, dass ein Ort stets von den Menschen lebt, die ihn gestalten. So wurde aus der Markthalle ein lebendiger Kreativort, was sich so auch unter anderen Voraussetzungen in andere bayerische Städte übertragen ließe. Mit kulturellen wie wirtschaftlichen Vorteilen. Das Brückenkollektiv gab eine Antwort auf die Leerstände in der Neuburger Innenstadt und fand für abstrakte Probleme zugängliche und kreative Lösungen. Es fördert lokale und regionale Kunstschaffende, bringt Impulse in eine junge Szene, die sich neu entwickelt. Ganz ohne Spießigkeit, wie es auf der Website heißt. Oder einfach: „Auf einer Mission zu einem Neuburg, auf das Du Bock hast.“