In Passau verwandelt sich das aufgegebene Kloster Bergfried in einen Ort der freien Kulturszene

Wie der Phönix aus der Asche 

Landrichterhof, Kurbad, Kloster … Leerstand. Ein Kulturverein rettet einen wunderschönen Komplex vor dem Verfall. Die Mitglieder stellen ein jährliches Kulturfestival für Jung und Alt auf die Beine. Dann brennen Unbekannte fast alles nieder und der Aufbau beginnt von vorn. Wie man im Passauer Bergfried der Zerstörungswut trotzt und einen magischen Ort neu belebt.

Die Flammen schlagen aus dem Dach des Bergfrieds in den Nachthimmel. Julia Willeitner steht davor und muss zusehen, wie ihr „Lebensprojekt“ dem Feuer zum Opfer fällt. All die Kostbarkeiten und Kleinigkeiten, die man für ein Kulturfestival braucht, und dazu die altehrwürdigen Gebäude …

Einen „Bergfried“, wie man den Verteidigungsturm einer Trutzburg nennt, sucht man hier aber vergebens. Erst seit 1896 heißt der Gebäudekomplex oberhalb der Passauer Innenstadt so, als ein Herr Müller darin ein Heilbad betrieb und dafür einen klingenden Namen suchte: „Bergfried“. Doch die Geschichte des Bergfrieds ist länger. Mutmaßlich seit dem 13. Jahrhundert stehen hier erste landwirtschaftlich genutzte Gebäude.

Auch Willeitners Geschichte mit dem Bergfried geht ein paar Jahre zurück, wenn auch nicht ganz so weit. Die 30-Jährige war schon als Kind im Bergfried getauft worden, in der Nähe aufgewachsen, hatte hier Gottesdienste besucht und sich mit den Mönchen angefreundet. 1918 nämlich hatten die Benediktiner der Abtei Schweiklberg den Hof übernommen, um weitere Gebäude und eine Kapelle erweitert.

Ein Verein für Kultur und Erhalt

Die freischaffende Cellistin Willeitner kam 2021 nach ihrem Studium am Salzburger Mozarteum zurück in ihre Heimatstadt Passau. Die Mönche waren längst aus dem Bergfried ausgezogen. Die Gebäude standen fünfzehn Jahre lang leer und verfielen, das Gelände mit dem Obstgarten verwilderte. Willeitner, die ihren „magischen“ Bergfried nicht aufgeben wollte, nahm Kontakt zum damaligen Besitzer auf. Bevor es zum Treffen kam, starb er jedoch. Die Erbengemeinschaft übertrug Willeitner für den Bergfried das Recht zur Zwischennutzung.

Sie suchte und fand Mitstreiterinnen und Mitstreiter, viele davon selbst freischaffende Kreative, die sie unterstützen wollten, den Bergfried „durch Kunst und Kultur“ wiederzubeleben. Für eine Kulturneugründung war 2021, das zweite Jahr der Pandemie, nicht gerade der günstigste Zeitpunkt. Ein jährliches Musikfestival mit großem Begleitprogramm sollte es geben. Die erste Ausgabe im Herbst ’21 zog trotz Corona-Auflagen rund 1000 Besucherinnen und Besucher an. Die Konzerte wurden wegen der Abstandregeln alle doppelt gespielt. „Es ging erstaunlich gut“, sagt Willeitner.

2022 gründeten sie den Bergfried Kultur e.V. als gemeinnützigen Verein, mit sieben aktiven Mitgliedern und etwa 20 Helferinnen und Helfern. „Eine Berufung ist das mittlerweile. Eine Lebensaufgabe“, sagt Vorsitzender Willeitner.

Drei weitere Ausgaben des dreitägigen Festivals im Mai und Oktober 2022 und im Juni 2023 lockten je bis zu 1500 Leute an. Auf dem weitläufigen Gelände verteilt sich das gut. Neben den Konzerten und Ausstellungen öffnen Kulinarik, Kunsthandwerksmarkt, Kinderprogramm, Feuershow, Yoga und Tanzworkshops das Festival für die ganze Bevölkerung.

Raub der Flammen

Doch im Herbst 2023 passiert es. Willeitner, die in der Nähe des Bergfrieds wohnt, erzählt:

Die haben mich in der Früh um sechs aus dem Bett geklingelt und geholt. Ich bin dann quasi im Schlafanzug rübergerannt und stand vor dem brennenden Bergfried. Es hat mir das Herz gebrochen.“

Julia Willeitner

Die Feuerwehr tut ihr Möglichstes, doch zwei Gebäude brennen komplett aus, eines wird beschädigt. Drinnen wird ersichtlich: Nicht ein Kabelbrand oder ein vergessener Heizlüfter sind schuld, wie zuerst befürchtet. Die Feuerwehr geht von Brandstiftung aus. Die Polizei ermittelt noch.

Die Vereinsmitglieder sind geschockt. Aber den Bergfried geben sie nicht auf. Die Kapelle und der Obstgarten sind unversehrt. Die übrigen Gebäude müssen abgerissen werden, die Ruinen seien nicht sicher, heißt es. Das geplante Festival soll trotzdem stattfinden, das entscheidet der Verein noch am Tag nach der Katastrophe. Wenn auch unter erschwerten Bedingungen. Lager und Büro, das Klavier, das Schlagzeug, das Cembalo – ein Raub der Flammen. Ebenso die Kunstwerke, Ateliers und Ausstellungsräume in den ehemaligen Klosterzellen. Die gesamte Technik und Bestuhlung. „Außer der neuen Optik am Bergfried wird sich nichts ändern“, sagt Willeitner. Die für das Festival gebuchten Künstlerinnen und Künstler, alles renommierte Leute, werden auftreten und ausstellen. Der Staatspreis für bayerische Kreativorte 2024 kommt da wie gerufen und bestärkt die Organisatorinnen und Organisatoren darin, an ihren Plänen festzuhalten.

Neue Ideen für die Zukunft

Solange die Brandstifter nicht gefasst sind, halten Vereinsmitglieder Nachtwache auf dem Bergfried. Die Zukunftspläne müssen neu gedacht werden. Märke und Workshops, auf denen sich die ortsansässigen Kreativunternehmende präsentieren und austauschen können, sind weiterhin möglich. Der inspirierende Ort, nah der Stadt und trotzdem mitten in der Natur, eignet sich dazu bestens.

Auch bei der Stadtspitze ist der Einsatz des Vereins nicht unbemerkt geblieben.

Die Stadt Passau freut sich gemeinsam mit den Verantwortlichen des Bergfrieds über die diesjährige Auszeichnung mit einem Staatspreis für bayerische Kreativorte. Durch diese besondere Ehrung erhält das gezeigte Engagement zur Stärkung der kulturellen Landschaft in Passau eine besondere und verdiente Würdigung.

Oberbürgermeister der Stadt Passau Jürgen Dupper

Konzerte, Sommerkino, Lesungen, Werkstätten, eine Solawi im Gemeinschaftsgarten – ein Kulturzentrum im wahrsten Sinne des Wortes soll entstehen, in dem sich die gesamte Passauer Kreativszene trifft und vernetzt. Der Bergfried als Neuling und Alteingesessener zugleich wäre dafür der perfekte Gastgeber. In Passau suchten so viele Kreativschaffende nach geeigneten Räumen, meint Willeitner. Ein Ort wie der Bergfried lüde dazu ein, sich zusammenzutun und voneinander zu lernen. Wie man für einzigartige Locations neue Nutzungsarten findet etwa. Über 300 Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft gibt es in Passau, dem Spitzenreiter in Niederbayern, dazu rund 100 Kulturvereine, von den zahllosen Kreativschaffenden ganz zu schweigen.

Und der „Charme des Improvisierten“, das Do-it-yourself, war sowieso immer Teil des neuen Bergfrieds. Die Ausstattung wird finanziert via Crowdfunding oder als Sachspenden eingesammelt. Statt auf Designerhockern lauscht man den Musikerinnen und Musikern hier auch mal in Hängematten.

Von 1996 an bis zu ihrem Auszug boten die Mönche hier die Teilnahme an „kontemplativen Exerzitien“ an, angeleiteten Übungen in religiöser Selbstversenkung. Von solchen Ideen steckt bis heute viel in den Mauern.

Spiritualität und Kunst treffen sich im Bergfried. So werden die Menschen, die an diesem Ort leben, arbeiten und wirken, von seiner Kraft und positiven Strahlung gleichsam beflügelt und andersrum gewinnt der Ort wieder an Bedeutung für die vielen Suchenden unserer Zeit.

Dr. Christian Freundorfer, als Pater Martin bis zum Jahr 2006 einer der letzten Mönche auf dem Bergfried, heute Mitarbeiter des Münchner Stadtarchivs