#bayernkreativPORTRAIT: Wir hatten das Vergnügen, mit dem Cellisten und gleichzeitig Head of Business Development und Produktmanager verschiedener Start-ups der Musik- und Technologiebranche Ivan Turkalj über seine Arbeit und die florierende Schnittstelle von Musik und Technologie zu sprechen. Ivan sieht in seinen verschiedenen Rollen eine Chance, um neue Erfahrungen zu sammeln und seinen Horizont zu erweitern – eine Einstellung, die er als unverzichtbar für die Entstehung von Innovationen betrachtet. Gerne auch mit Unterstützung von technologischen Entwicklungen wie der KI. Doch entscheidend wird hier immer der Mensch bleiben, dessen ist er sich sicher. Mehr über Ivan und was er immer mit einer Prise Humor zu berichten hat, erfährst du hier.

Ivan Turkalj

Lieber Ivan, du bist erfolgreicher Cellist, spielst in verschiedenen Bands und führst ein eigenes Musiklabel. Gleichzeitig bist du als Head of Business Development und Produktmanager in verschiedenen Start-ups der Musik- und Technologiebranche tätig. Mit welcher Bezeichnung fühlst du dich wohler: Musiker oder Unternehmer?

Je nachdem, was gerade gebraucht wird. Musiker auf der Bühne. Unternehmer hinter der Bühne und am Computer. Der wichtigste Aspekt meiner verschiedenen Aktivitäten ist, dass sie sich alle gegenseitig befruchten. Als Produktmanager lernt man neue Technologien kennen, die man wiederum für verschiedene Zwecke künstlerisch einsetzen kann. Ein Musik-Label zu betreiben heißt, sich auch darum zu kümmern, dass man neuen ‘Stoff’ zum veröffentlichen hat. Als Musiker versuche ich immer wieder neue Stile, musikalische Richtungen und Menschen kennenzulernen. So versuche ich meinen Horizont breit zu halten und von anderen Experten dazuzulernen.

Seit kurzem sind drei Stücke von dir, darunter das von dir (um)komponierte Stück Chopatti, in der ARD-Mediathek zu finden (ARD Klassik: Turkalj · Chopatti · Ivan Turkalj · BR-KLASSIK | ARD Mediathek). Wie gehst du an das Komponieren eines eigenen Stücks heran, was inspiriert dich?

Das Komponieren beschränkt sich eigentlich auf mein Arbeitszimmer und ich sehe es als Übung, andere Komponisten und deren Entscheidungen besser zu verstehen. Mein Glück ist, dass ich umgeben bin von Kollegen, die exzellente Stücke komponieren können. Chopatti ist aus dem Bedürfnis entstanden, eine Übung zu für eine Technik namens “Choppen” zu schreiben. Dazu habe ich eine alte Etüde von Alfredo Piatti hergenommen und etwas verfremdet. Irgendwie hat es das Stück geschafft, aus meinem Arbeitszimmer zu entfliehen…

Mit Florian Willleitner zusammen hast du das das internationale Kollektiv „Pool of Invention“ gegründet. Im Rahmen dieses Kollektivs können kreative Köpfe aus unterschiedlichen Bereichen und mit diversen kulturellen Hintergründen gemeinsam etwas erschaffen. Euer Leitspruch ist „1+1=3“. Was macht eure Projekte größer als die Summe ihrer Teile?

Es liegt eine große Kraft darin, offen aufeinander zuzugehen und aus zwei Erfahrungsschätzen etwas Neues zu kreieren. Das ist oft etwas Ungewöhnliches und Ungewohntes, was unter Umständen einige Zeit erfordert, sich daran zu gewöhnen und eine gemeinsame Sprache zu entwickeln – Stillstand ist dabei keine Option. Üblicherweise ist dabei eine starke künstlerische Idee die Keimzelle, von der alles ausgeht. Je nachdem, aus welchem Bereich man kommt, ist die Sichtweise auf diese Keimzelle oder Herangehensweise eine andere. Hier beginnt dann ein spannender Prozess, der aus zwei einzelnen Bausteinen eine neue Sache entstehen lässt.
Deswegen 1+1=3.

Bei deinem künstlerischen Schaffen spielt Innovation eine große Rolle. Wie stehst du zu Klassik und Tradition bei deiner Arbeit?

Ich liebe Geschichte als Naturwissenschaft und Lexikon, aus dem man vieles lernen kann. Genauso auch in der Kunst und Musik. Zu ihrer Zeit war die heutige Klassik” zeitgemäß oder revolutionär. Hörgewohnheiten und die musikalische Sprache haben sich geändert, wir haben heutzutage daher ein anderes Vokabular zur Verfügung als vor 100 oder 300 Jahren. Daher stellt sich für mich die Frage: Was kann ich aus der Tradition mitnehmen und in die Gegenwart übertragen? Das ist für mich ein spannendes Puzzle. Oder anders gesagt: Ich rede sehr gerne mit alten und erfahrenen Menschen, um von ihnen zu lernen. Sie sind eine unerschöpfliche Ressource von Ideen, genauso wie Kinder. Deswegen ist für mich das Spannungsfeld zwischen Innovation und Tradition extrem spannend.

Ist meine Innovation nur eine zeitgemäße Form von schon da gewesenen Erfindungen und Gedanken? Woher kommt der Trieb zu glauben, alles neu erfinden zu müssen? Ist Altes langweilig” und wenn ja, warum? Oder noch anders gesagt: Wir vergessen leider zu oft, dass wir nicht die ersten Menschen auf diesem Planeten sind.

Du bist nicht nur Solist, sondern hast auch großen internationalen Erfolg mit dem Ensemble „The Erlkings“. Auch dieses Ensemble ist innovativ: Ihr spielt mit Gitarre, Tuba, Cello und Schlagwerk klassische Stücke z. B. von Beethoven oder Schubert (Live aus dem Studio 2 des Münchner Funkhauses: BR-KLASSIK-Studiokonzert | Radio | BR-KLASSIK | Bayerischer Rundfunk) und singt die Texte auf Englisch. Wie seid ihr auf diese Kombination gekommen und wie reagiert euer Publikum darauf?

Ich sage gerne: The Erlkings dürften eigentlich nicht funktionieren. Alleine die Kombination der Instrumente ist hanebüchen, geschweige denn, das heilige Liedgut von Schubert, Goethe und Schiller auf Englisch und als Band so originalgetreu darzubieten zu wollen. Auch hier gilt aber: Wir machen das aus Liebe zum Repertoir, ohne Kompromisse, Anspruch auf Originalität (bewusst doppeldeutig gemeint) und mit viel Lust, diese Lieder/Songs den Menschen näherzubringen. Der Spagat, gleichzeitig das Fachpublikum und den “Neuling” zu überzeugen, das ist ein wichtiges Ziel.

Eine Anekdote aus der Wigmore Hall in London, einem der konservativen Lied-Zentren, die es zu überzeugen gilt: Nach dem Konzert kam ein sehr, sehr aufgeregter Zuhörer ins Backstage und meinte, er hasst, was wir mit seinem Schubert und den Liedern machen. Er hat ganz spezifische Dinge/Emotionen/Parameter, die er sich erwartet und von denen er zehrt und unsere Art und Weise ist ganz gegen seine Überzeugung. Und trotzdem hat er bei unserem Konzert alles bekommen, was er sich erwartet. Mit Abstand eines der besten Komplimente, an die ich mich erinnern kann.

Du interessierst dich sowohl für Musik als auch für Technologie. In letzter Zeit haben KI-Systeme immer wieder für Schlagzeilen gesorgt, die mit ihren Fähigkeiten auch für die Kunst-, Kultur- und Kreativwirtschaft relevant sind. Dall-E-2 zum Beispiel generiert Bilder in beliebigen künstlerischen Stilen, ChatGPT kann vom Drehbuch bis zur Romanvorlage alle möglichen Texte produzieren. Wie siehst du das Verhältnis von Kunst und Technologie?

Ich finde es immer interessant, mit neuen Technologien herumzuspielen und zu sehen, wann und wie man ihr Limit erreicht. Die Fortschritte in diesem Bereich in den letzten Jahren sind enorm, aber eine KI ohne einen guten Informationspool kommt auch nicht weit. Deswegen sehe ich hier immer noch ein ‘faires’ Miteinander. Im besten Fall lernen wir, diese Technologien als ein Instrument oder Stilmittel zu benutzen. Für die Weltuntergangsstimmung und Angst ist es noch zu früh. (ah, hätte ich bloß das Interview mit ChatGPT gemacht, hätte ich vielleicht viel Zeit gespart…) ;-)

Werden Computer irgendwann die besseren Musiker sein?

Nein, das glaube ich nicht. Weil zum Musikerlebnis auch die menschliche Interaktion dazugehört. Ob sie bessere” Musik für gewisse Produkte oder Anlässe produzieren können? Sicherlich, wenn sie mit guten Daten gefüttert werden. Aber zu guter Musik gehört eben noch das gewisse Etwas und nicht nur die richtigen Algorithmen und Erwartungshaltungen zu bedienen. Ein positives Beispiel: Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Musik im Fahrstuhl oder Telefonhotlines von Airlines oder der Deutschen Bahn abwechslungsreicher wird, wenn
wir das eine KI machen lassen.

Wenn du an die Zukunft denkst, wie glaubst du werden wir Kunst produzieren undwahrnehmen?

Was ich zugegebenermaßen sehr romantisch hoffe ist, dass Kunst wieder mehr zum
allgemeinen Hobby wird. Selber Hand anzulegen ist noch besser als nur zu konsumieren.

Ivan, du bist ja auch international tätig. Wohnst in Wien, arbeitest aber z. B. auch in Deutschland, speziell im Grenzgebiet Bayern – Böhmen und hast das internationale Kollektiv „Pool of Invention“ mitbegründet. Wie wirkt sich die Internationalisierung auf deine Arbeit aus?

Ehrlich gesagt kenne ich es nicht anders und es ist für mich als Musiker eine Selbstverständlichkeit. Seit meinem zwanzigsten Lebensjahr bin ich mit dem Cello international unterwegs und die einzige Pause war während der Corona-Lockdowns.
Geprägt haben mich meine intensiven Jahre bei der kanadischen Band The Hidden Cameras”. Das war ein bunter Haufen mit Künstlern und Musikern aus den USA, Kanada, England, Österreich und Deutschland. Bei den vielen fünf bis sechswöchigen Tourneen habe ich zum ersten Mal wirklich erlebt, was Internationalisierung bedeutet, welche Unterschiede durch die kulturelle Identität spürbar werden und wie viel man voneinander lernen und mitnehmen kann. Vor allem Grenzgebiete sind da ein spannendes Thema.

Die bayerische Kultur- und Kreativwirtschaft ist vital, kooperativ, vielstimmig und zukunftsrelevant. Wir stellen dir bayerische Akteurinnen und Akteure vor. Wie gestaltet sich deren Geschäftsmodell? Was treibt sie an?

Du möchtest uns auch gerne ein paar Fragen beantworten und Teil unserer Kampagne „bayernkreativPORTRAIT“ sein? Dann schreibe uns gerne eine E-Mail an kontakt@bayern-kreativ.de mit dem Stichwort „bayernkreativPORTRAIT“.