#bayernkreativPORTRAIT: Wir haben mit Filmemacher Erec Brehmer über seinen Film „Wer wir gewesen sein werden“ gesprochen; einen ergreifenden Dokumentarfilm über den Verlust eines geliebten Menschen. Ein Film über Trauer – aber auch über Zuneigung, Liebe und Wertschätzung. Mit seiner subjektiven, persönlichen Erzählart führt Erec die Zuschauenden durch seine gemeinsame Geschichte mit Angi.

In unserem Interview erzählt uns Erec unter anderem, was ihn zu dem Film und seiner Veröffentlichung bewogen hat, wie ihm das Stipendienprogramm „Junge Kunst und neue Wege“ die Türen der Kinos öffnen konnte und was hinter dem Titel „Wer wir gewesen sein werden“ steckt.

Erec brehmer

© Paula Tschira, Frederik Seeberger

Lieber Erec, dein Film „Wer wir gewesen sein werden“ ist ergreifend, emotional und berührend. Ein Dokumentarfilm und eine Geschichte über den Verlust eines geliebten Menschen. Warum hast du aus diesem persönlichen Ereignis einen Film gemacht?

Als Filmemacher beschäftige ich mich mit den Dingen, die mich umtreiben, natürlich auf filmische Art und Weise und nach Angis Tod konnte ich an nichts Anderes denken: Wie kann ich aus diesem Albtraum wieder erwachen? Wann hört der Schmerz wieder auf und wer kann ich jetzt überhaupt noch sein? Wie kann ich Angi noch in meinem Leben halten, wo ich sie doch niemals aufhören werde zu lieben? Da ich zu Lebzeiten unglaublich viel von Angi und mir gedreht und jede neue Technik an ihr ausprobiert habe, hatte ich da diese Maßen an Bildmaterial. So habe ich angefangen, alte Fotos und Videos von Angi zu sichten und zu kleinen Sequenzen zusammenzusetzen. Das war mein Zugang, den ich zu ihr noch haben konnte. Die einzige Möglichkeit, sie nochmal zu sehen, zu hören und auch durch das Material neu zu entdecken. Und mit der Zeit habe ich dann auch angefangen meine Trauer zu dokumentieren, einfach, weil ich gemerkt habe, dass es große Hemmungen in meinem Bekanntenkreis gab, sich mit dem Thema und mit mir auseinanderzusetzen. So entstand mit der Zeit ein Film, in dem ich versucht habe herauszufinden, wo Angi in meinem Alltag nun noch präsent sein kann, da ich sie immer noch liebe und niemals „loslassen“ will. Und es entstand ein Film über Trauer, wie ich ihn damals im Krankenhaus gebraucht hätte, als ich mich gefragt habe: Wie geht das denn, trauern?

Dein Film besteht ausschließlich aus privaten Aufnahmen. Warum hast du dich für diesen Stil der Umsetzung entschieden?

Zum einen hatte ich all diese unzähligen Aufnahmen und ich hatte ja auch anfangs nie vor, einen Film für die große Leinwand zu erschaffen. Anfangs war das Projekt ja ein ganz privates. Erst mit der Zeit entstand eine Geschichte, bei der viele Menschen mich ermutigt haben sie zu zeigen, da sie auch Relevanz für andere Menschen haben kann. Trotzdem wollte ich für den Film nie weiteres Material, andere Bilder oder Interviews drehen. Ich hatte das Gefühl, dass die Amateuraufnahmen von mir eine besondere Authentizität und Nähe haben, die man niemals inszenieren könnte. Und sogar, dass neu gedrehte Bilder die Amateuraufnahmen abschwächen könnten. Gleichzeitig wusste ich, dass ich nie absolut erzählen kann, wer Angi war. Ich konnte nur erzählen, wer Angi für mich war. Wie sie meine Welt geprägt hat. Und daher habe ich mich auch auf die subjektivste, persönlichste und am wenigsten artifizielle Erzählart festgelegt. Das war für mich der ehrlichste Ansatz. Mit der Zeit entstand für mich als Filmemacher natürlich auch ein gewisser Ehrgeiz: Kann man ausschließlich aus den Bildern, die wir mit unseren Handys tagtäglich machen, aus Chatnachrichten und Internetspuren einen in sich konsequenten Kinofilm erzählen?

Nicht nur das Bild, sondern auch der Ton in seinen verschiedensten Facetten (Voiceover, Geräusche, Musik) macht den Film so emotional – warum war dir das so wichtig?

Das ist ja das schöne am Medium Film, dass so viele Ebenen, Bild, Ton, Musik, Schnitt, zusammenspielen und sich ergänzen oder auch widersprechen können. Ich mag es sehr, wenn auf der Tonebene Fragen aufgeworfen werden, die der Bildebene entgegenlaufen und damit Fragen im Zuschauer erzeugen: Was passiert da gerade? Wohin führt mich das? Warum traue ich den Bildern gerade nicht? Widersprüche zuzulassen und auf eine ehrliche Art einen Ausdruck zu finden für etwas, das man nur schwer ausdrücken kann, das war eine der Herausforderungen des Films. Und natürlich hält die Erzählung, die Fragen, das Voice Over, den Film zusammen und gibt ihm Struktur. Mir war vor allem wichtig, Fragen zu stellen und die Bilder nach Antworten zu durchsuchen, selbst wenn ich auf manche Fragen niemals Antworten bekomme. Doch das Stellen der Fragen kann ja auch schon sehr wertvoll sein.

Man bleibt schon beim Filmtitel hängen und spürt, das ist etwas ganz Besonderes. Wie bist du auf den Titel gekommen?

Der Titel basiert auf einem Zitat von Roger Willemsen, dessen Werke Angi und ich immer gerne gehört haben. In seiner „Zukunftsrede“, seinem letzten veröffentlichten Manuskript, hat er sich unter anderem mit der Perspektive der Gegenwart beschäftigt. Er schrieb dort, dass wir, um uns im Hier und Jetzt zu begreifen, nicht fragen dürfen, wer wir waren und wie wir so werden konnten wie wir jetzt sind, sondern dass wir uns aus der Perspektive der Zukunft betrachten müssen. Wir sollten uns daher fragen, wer wir gewesen sein werden, um uns und unser Handeln in der Gegenwart anzupassen. Das war für mich ein schöner Ausgangspunkt und Untersuchungsgegenstand für den Film: Die Frage, wer Angi und ich einmal gewesen sein werden, wenn ich einmal alt bin. Und was das für mein Verständnis der Gegenwart bedeutet. Welche Beziehung werden wir geführt haben können, jetzt, wo wir uns noch lieben, aber sie nicht mehr da ist. Und wer kann ich denn jetzt überhaupt noch sein kann, bzw. was wird mein Leben und auch Angis Leben in der Zukunft bedeutet haben.

Dein Film wurde im Rahmen des Stipendienprogramms des Freistaats Bayern „Junge Kunst und neue Wege“ unterstützt. Erzähl mal, wie lief das ab?

Ich habe schon früh von dem Stipendienprogramm gehört, doch da es so sehr als Corona-Hilfe für junge Künstler gelabelt war, dachte ich immer, dass es mir noch zu gut geht, um mich überhaupt bewerben zu dürfen. Der Dokumentarfilm lief dann erfolgreich auf Festivals und ich habe mich auf die Suche nach einem Verleih gegeben. Da habe ich von vielen interessierten Verleihern immer wieder gehört: „Wir müssen warten. Durch Corona wissen wir nicht wie sich die Kinolandschaft entwickelt. Wir können gerade keine kleinen Filme mehr unterstützen.“ Da es mir aber wichtig war den Film auch zu veröffentlichen – denn was bringt einem ein Film, wenn ihn niemand sehen kann – habe ich mir überlegt, ihn selbst in die Kinos zu bringen, obwohl ich damit noch gar keine Erfahrung hatte. Mit diesem Vorhaben habe ich mich dann für das Stipendienprogramm beworben und als ich es bekam, war das der ausschlaggebende Anlass, den Film im Eigenverleih zu veröffentlichen. Inzwischen hat er fast 5.000 Zuschauerinnen und Zuschauer erreicht und lief über viele Wochen in über 85 Kinos. Er ist auf DVD erschienen, hat zahlreichen Trauernden Trost spenden können und wurde auch vom katholischen Filmwerk für den Bildungsbereich lizenziert. Das Medienecho war enorm, es gab ausschließlich positive Kritiken und da alle Gewinne des Film gespendet werden, konnte ich bisher schon 12.500 € an wohltätige Vereine spenden. Fakt ist: Ohne das „Junge Kunst und neue Wege“ Stipendium wäre das alles nie geschehen.

Was war die größte Herausforderung an deinem Film?

Ich würde sagen, da gab es zwei große Herausforderungen. Die erste war: Wie kann ich Menschen von einem Gefühl erzählen, die dieses Gefühl selber noch nie erlebt haben? Wie kann ich spürbar machen, was der Verlust eines so engen Menschen bedeuten kann, wie er die eigene Welt verändert und wie existenziell und vernichtend sich dieser Schmerz anfühlt. Die zweite Herausforderung war: Wie kann ich von Angi erzählen? Wie kann ich diesem Menschen in der kurzen Zeit des Films gerecht werden und einen Eindruck dieses wunderschönen Menschen vermitteln. Denn dass der Zuschauer Angi durch den Film noch einmal kennen lernen und sich auch wie ich in sie verlieben darf, das war mir ganz wichtig. Auch dadurch kann man als Zuschauender erst begreifen, wieviel Freude und Leben mit ihrem Tod von dieser Welt verschwunden ist.

Wer ist die Zielgruppe deines Films?

Natürlich hoffe ich, dass jeder Mensch an diesen Film anknüpfen kann, denn er erzählt davon, wie man durch eine tiefe Krise gehen und als neuer Mensch wieder hervortreten kann. Ein Thema, dass wir alle nach Corona, aber auch durch unsere individuellen Lebensgeschichten kennen. Während der Kinotour habe ich aber auch gemerkt, dass in erster Linie ältere Menschen im Kino sitzen, die bereits Berührungspunkte mit dem Thema Tod hatten. Viele betroffene Menschen, Mitarbeiter*innen aus Hospizvereinen, aber auch viele junge Trauernde saßen im Publikum. Es war spannend zu erleben, dass sich jede einzelne auf seine oder ihre ganz eigene Art in dem Film wiederfinden konnte und dankbar war, dass einmal so offen über die Themen Tod, Trauer und Liebe gesprochen wird. Dabei war es auch egal ob man seinen Partner, seine Mutter oder gar ein Kind verloren hatte. Die Trauer um einen geliebten Menschen kann uns zusammenführen. Dass es einen Mangel an echter Auseinandersetzung mit diesen Themen in der Mitte der Gesellschaft gibt, das wurde mir erst durch diese Begegnungen richtig bewusst.

Zum Schluss noch eine sehr private Frage: war die Arbeit an dem Film deine persönliche Trauerbewältigung und wie geht es dir heute?

Natürlich hat mir die Arbeit an dem Film geholfen, die Geschehnisse zu ordnen und zu reflektieren. Das war gerade im ersten Jahr des Schnittprozesses unglaublich wichtig, auch wenn es genauso wichtig war, im zweiten Jahr die Perspektive zu wechseln und einen Film nicht mehr für mich, sondern für fremde Zuschauer*innen zu machen. Doch natürlich hilft es, Worte und Bilder finden zu müssen für Ängste und schmerzhafte Gefühle. Damit bemächtigt man sich ihnen. Heute geht es mir sehr gut. Ich habe Angi so gut es geht neu in mein jetziges Leben integriert und gleichzeitig ein neues begonnen, mit einer neuen Perspektive auf viele Dinge. Und als Filmemacher sitze ich schon wieder an neuen Projekten, sowohl dokumentarisch, als auch fiktional.

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