Raum für Kreativität und Zusammenhalt

Wie auf dem alten Quelle-Areal in Nürnberg neue Formen der Arbeit entstehen


Die Geschichte des Traditionsunternehmens Quelle, des einst größten Versandhauses Europas, endete vor dreizehn Jahren. Ein riesiges Gelände in Nürnberg blieb zurück. Kreativschaffende und Kultur nutzten die Chance. Trotz vieler Hindernisse. 2016 bezog der gemeinnützige Verein Quellkollektiv das Heizhaus am Fuße des Quelle-Turms. Dort arbeitet nun ein selbstverwaltetes Kulturlabor, das neue Formen der Arbeit und des Zusammenlebens aufzeigt. Weswegen es in diesem Jahr den Staatspreis für bayerische Kreativorte gewinnt.


Wer von Nürnberg nach Fürth fährt, kommt an einem Stück deutscher Handelsgeschichte vorbei. Sowohl von der A73 als auch aus dem Zug lässt sich der Quelle-Turm deutlich erkennen. Er gehört zu Nürnberg wie die Kaiserburg oder das Frankenstadion – und ragt aus dem ehemaligen Versandzentrum knapp 90 Meter in die Höhe. Darunter ein riesiges Areal. Genug Platz für einen Neuanfang nach dem Aus des Traditionsunternehmens. Einen kreativen Neuanfang.

Vor etwas mehr als zehn Jahren zogen Kunstschaffende in Räume des riesigen Komplexes an der Fürther Straße, bald gründete sich der Verein Quellkollektiv e.V. Kurz nach Insolvenz der Quelle entwickelte sich so an diesem Ort eine lebendige junge Kunst- und Unternehmerszene. Zeitweise arbeiteten über 250 Mieterinnen und Mieter dort. „Die Menschen hinter dem Quellkollektiv waren die Ersten, die den Leerstand zwischennutzen konnten “, sagt Wally Geyermann. Die 51-jährige Nürnbergerin ist Veranstalterin, Kulturaktive, Projektmanagerin und heute Mitglied des Quellkollektivs. „Es kamen sehr viele Kreative – teilweise aus Mexiko und Kanada. Weil das Areal einfach so ein Magnet war.“ Es hätte so schön sein können. Doch wie in den meisten Erfolgsgeschichten gab es Hindernisse.

Ein steiniger Weg

Aus Kostengründen beendete der damalige Besitzer des Komplexes die Zwischennutzung 2015. Lange herrschte Ungewissheit für die Kreativen, wie es weitergeht. Der Verein kämpfte um einen anderen Ort. Dann das Angebot: Das Quellkollektiv kann in das „Heizhaus“, in dem sich früher Brandmeldezentrale, Betriebsfeuerwehr und ein Heizkraftwerk befanden.

Nur ein kleiner Teil der Kreativen nahm das Angebot an. Viele Kunstschaffende sagten ab und verließen Nürnberg. „Leider“, wie Geyermann sagt. „Aber aus dem Kern, der hierhergezogen ist, hat sich etwas entwickelt, und ist gewachsen und gewachsen.“ Zu einem selbstverwalteten Kulturlabor, das sich unter anderem den Fragen widmet: Wie wollen wir leben? Wie wollen wir arbeiten? Heute sind rund 100 Kultur- und Kreativschaffende aus dem Raum Nürnberg im Verein.

„Die Gewerke im Verein sind nachhaltig aufgestellt und nehmen idealistische Positionen ein.“ Heißt konkret: Sie verdienen ihren Lohn damit, aber sie wollen auch sozial agieren. „Man kommt hier rein und plant ein Projekt, braucht Unterstützung in Unternehmensberatung, in Computer-IT oder Leute, die sich mit Stoffen, Stahl, Design oder Druck auskennen. Das heißt: Ein Projekt kann hier komplett durchgezogen werden.“ Das passiert mit viel Geben und Nehmen und Gemeinschaftlichkeit. „Und mit
viel Wissenstransfer“, sagt Hanna Rentschler. Die 31-Jährige ist Urbanistin und Stadtaktive, Studentin der Geographien der Globalisierung, Planerin und seit dem Sommer 2018 als Projektleiterin im Heizhaus aktiv. Durch die finanzielle Situation sei man aufeinander angewiesen. Das ist laut Rentschler aber nicht der wichtigste Grund: „Die Gesamtkonzeption baut einfach auf Kooperation auf.“ Menschen mit Fachkenntnissen stellen ihr Wissen bereitwillig zur Verfügung.


Neue Formen des Arbeitens

Im Heizhaus sollen sich künstlerisches Schaffen, Handwerk und Gemeinnütziges verbinden. 60 Mietende arbeiten in Werkstätten, Büros, Studios, Ateliers und Proberäumen. Schreinern findet ebenso einen Platz wie die Stadtteil- und Bildungsarbeit, Gärtnern wie Buchbindung, Videodreh wie Programmieren. Das Heizhaus ist eine Plattform für Diskurs und Reibung. Kreativwirtschafts- und Gesellschaftslabor gleichermaßen, weswegen das Heizhaus den Staatspreis für bayerische Kreativorte in diesem Jahr erhält.

„Wenn ein Preis erstmals vergeben wird, ist die Aufgabe für das zuständige Auswahlgremium keine einfache“, sagt die Kulturpolitikerin und Zweite Bürgermeisterin der Stadt Nürnberg Prof. Dr. Julia Lehner. Es gilt unter zahlreichen Orten der Kreativwirtschaft, diejenigen zu ermitteln, die stellvertretend für das stehen, was stets mit ihnen verbunden wird „Orte des gesellschaftlichen Miteinanders, des Ideenreichtums und Wissenstransfers, Orte, deren Esprit und Geist auf das jeweilige Umfeld ausstrahlen.“ Ein solcher Ort ist das Heizhaus laut Lehner ganz gewiss. „In Nürnberg ist der Kreativort Heizhaus auch ein exzellentes Beispiel dafür, wie an einem vormalige Industrie- und Handelsstandort ein Strukturwandel erfolgreich initiiert werden kann“, so Lehner. „Im Westen der Stadt kam es nach Schließung der Standorte der Produktion der AEG-Electrolux und des Versandhauses Quelle zu einem in dieser Dimension für Nürnberg beispiellosen Leerstand. Allein das Quelle-Areal bemisst über sechs Hektar Grundfläche und über 250.000 Quadratmeter Gebäudefläche.“

Nürnberg befindet sich im Wandel. Kulturell, gesellschaftlich und ökonomisch. „Dieser Wandel bietet kreativ Tätigen große Potenziale und Möglichkeiten, die sich gegenüber einer eng vernetzten Struktur noch effektiver darstellen“, so die 68-Jährige. „Das Heizhaus und die hier arbeitenden Menschen weisen erfolgreich nach, dass Kunst, Kultur und Kreativität ein nicht zu vernachlässigender Motor für eine erfolgreiche Stadtentwicklung sein können.“ Hanna Rentschler sagt. „Das Selbstverständnis basiert auf diesen nachhaltigen Formen, auf dem Austausch, auf neuen Formen des Arbeitens, die nicht Wettbewerb sein müssen.“ Aber natürlich bewegen sie sich zwischen Kulturreferat und Wirtschaftsreferat. „Was wertvoll ist.“ Aber anfangs eine Einordnung des Projekts und des Quellkollektivs für Außenstehende und Ämter erschwerte. Doch der Zusammenschluss wirkte. Auch in der lokalen Presse. Zusammen ist das Quellkollektiv stärker.


Wenig Raum für Kultur- und Kreativschaffende

„Es braucht ein starkes Durchhaltevermögen, um sowas wie das Heizhaus zu schaffen“, sagt Hanna Rentschler. Und um diesen Raum für Kreativität und Kultur zu bekommen, blieb das Quellkollektiv hartnäckig. „Es ist aber unglaublich schwer, ein komplettes Objekt langfristig zu halten.“ Viel passiere zwar als Zwischennutzung. Eigentümerinnen und Eigentümer sehen das gerne, weil dies die Orte aufwerte und den Leerstand überbrücke. „Ein Riesenproblem gibt es jedoch bei der Frage: Wie können wir Orte aus der Immobilienspekulation heraushalten, dass sie ohne zwingend kommerziell zu arbeiten, trotzdem Räume öffnen?“ Menschen müssen beim Heizhaus nicht konsumieren, wenn sie es betreten. Das öffnet auch für Menschen außerhalb des Kollektivs neue Räume. Trotz Pandemie war das Heizhaus in den letzten Jahren ein Ort des Wissenstransfers, des Austausches und des Lernens. Aktionen wie kÜnstrasen, bei denen vor den Rolltoren des Heizhauses Lesungen, Performances oder Konzerte stattfanden, halfen über die Corona-Monate – alles unter den entsprechenden Hygiene-Vorgaben der Zeit. Weil sich das Quellkollektiv im Heizhaus anpassen kann, ohne die eigenen Ideen zu verkaufen.


Inspiration und Kooperation

Aktuell wird auf dem einstigen Quelle-Areal massiv abgerissen und gebaut. In „The Q“ sollen bis 2024 Büros, Läden und Wohnungen entstehen. Das Quellkollektiv könnte kaum einen besseren Ort haben, um seine Ideen von neuem Arbeiten und neuem Denken umzusetzen und zu zeigen. Und es geht langfristig weiter. Im Herbst 2021 gab es Gewissheit: Die Kultur- und Kreativschaffenden dürfen im Heizhaus bleiben. Die Düsseldorfer Gerchgroup, heutiger Eigentümer, und das Quellkollektiv unterzeichnen einen Mietvertrag.

Als Ort der Teilhabe, der Inspiration und Kooperation setzt das Heizhaus Impulse. Dass es um diesen freien Raum kämpfte, in dem sonst jahrelang nichts passierte, zeigt: Die kreative Szene braucht Platz. Sie benötigt öffentlichen Raum ebenso wie Unternehmen und andere Institutionen. Während sich auf dem riesigen Gelände an vielen Stellen wenig tat, bewegte das Quellkollektiv viel. Mit einer klaren Idee, die viel mehr als nur ein kreativer Neuanfang ist.