Alles im Fluss

Wie die Kreativwirtschaft neue Energie ins Gaswerk bringt

Die Energieversorgung stillgelegt – und trotzdem fährt das Gaswerk in Augsburg gerade erst hoch. Als Kreativort der Zukunft. Seit 2016 befindet sich das riesige Areal in einer Transformation. Durch die swa KreativWerk GmbH & Co KG, einer Tochtergesellschaft der Stadtwerke Augsburg (swa), zusammen mit Kunstschaffenden, Kreativschaffenden und der Stadt Augsburg entsteht hier ein Raum für Entfaltung und Innovationen. In allen kulturellen und kreativen Spielarten. Das große Engagement aller Beteiligten macht sich bezahlt: Das Gaswerk Augsburg gewinnt dieses Jahr den Staatspreis für bayerische Kreativorte.

Aus der Ferne lässt er sich erkennen, der große Scheibengasbehälter – 1953 gebaut, weil es mehr Speicher für Gas geben musste, heute ein markantes Baudenkmal auf einem 70.000 Quadratmeter großem Areal mit dreizehn Gebäuden. Energie in Form von Gas entsteht im Stadtteil Oberhausen schon seit 2001 nicht mehr. Trotzdem geht beim Gaswerk Augsburg viel. Denn der Ort entwickelt sich zu einem Raum des Austauschs durch das Zusammenbringen von Kreativwirtschaft und kulturellen Angeboten, wie es in Augsburg einmalig ist. Und ein Beispiel für andere Städte sein kann, die aus alten Industrieanlagen neue Ideen entwickeln und ihre eigenen strukturellen Besonderheiten nutzen. „Ein Zukunftslabor“, wie es auf der Homepage heißt. Ein Ort, wo Kultur und Wirtschaft zusammenfinden, sich Kreativschaffende vernetzen und durch das besondere Areal Inspiration finden.

„Die Ertragskraft der Kultur- und Kreativwirtschaft in Augsburg ist sehr hoch“, sagt Nihat Anac. Der 43-Jährige ist der Gesamtverantwortliche für das komplette Gelände des Gaswerks bei den swa. Im Konzern der swa arbeiten heute rund 2000 Mitarbeiter. „Interesse und Nachfrage sind sehr stark. Die Mischung aus Kulturschaffenden und der Kreativwirtschaft in Form von Werbeschaffenden und Co-Working-Spaces ist genau das, was wir uns zu Beginn der Transformation vor sechs Jahren vorgestellt haben“, erklärt swa-Geschäftsführer Alfred Müllner. “Diese Entwicklung ist ein lebendiger Prozess mit allen Beteiligten.“

Erfolgreich, vielfältig, kleinteilig

Überhaupt gehört Augsburg mit einem Anteil von über zehn Prozent kultur- und kreativwirtschaftlicher Unternehmen an der Gesamtwirtschaft innerhalb Bayerns und in der ganzen Bundesrepublik zu den starken urbanen Standorten. „Die Branche besteht in Augsburg aus über 1.096 Unternehmen, in denen 4.851 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte tätig sind“, sagt Jürgen K.  Enninger. Der 53-Jährige ist Referent für Kultur, Welterbe und Sport der Stadt Augsburg. Der Jahresumsatz beträgt rund 600 Millionen Euro.

„Die Kreativwirtschaft in Augsburg ist sehr erfolgreich, sehr vielfältig, sehr heterogen und sehr kleinteilig“, beschreibt Jürgen K. Enninger die regionale Branche. Wechselwirkungen entstehen durch die Architekten der Universität Augsburg, das Klassik Radio, das sein Sendezentrum und seinen Hauptsitz vor nicht einmal einem Jahr von Hamburg nach Augsburg verlegte, und eben das Live-Musikgeschäft, das die Hälfte des Umsatzes in der Musikwirtschaft ausmacht.

Für eine Studie tat sich die Stadt Augsburg vor einiger Zeit mit anderen deutschen Städten zusammen, um die ökonomische Bedeutung der Musik zu untersuchen. Die Ergebnisse erschienen vor einem Jahr: Die Musikwirtschaft in Augsburg generiert 127,6 Millionen Euro Umsatz, über 1.900 Erwerbstätige sind im Musikökosystem beschäftigt. Dieser Verantwortung, die aus dieser Studie heraus für diesen Bereich entsteht, wird die Stadt zum Beispiel mit der Musicbox auf dem Gaswerk gerecht, einem Gebäude mit über 50 Proberäumen für Musikschaffende.

Netzwerke schaffen, Netzwerken anstoßen

„Das Besondere am Gaswerk ist dieser Mix aus Festivalfläche, ganz viel Musik in der Umgebung, diese Verbindung zum Stadtteil, die lange und schöne Industriegeschichte, die Verbindung durch die Brechtbühne zum Staatstheater Augsburg, die kleinen Tonstudios und die Coworking Spaces“, so Enninger. „Dieses ganze Ökosystem Kreativwirtschaft ist dort vorzufinden, mit einer starken Identifikation mit dem Stadtteil – aber auch mit einer ganz starken überregionalen Strahlkraft.“ Er ist fest davon überzeugt, das sich dies in den nächsten Jahren weiter festigen wird. Im städtischen Kontext sei das Gaswerk längst angekommen, vor allen Dingen als Festivalfläche ist es sehr bekannt. Besonders die Vernetzung soll in den nächsten Jahren noch mehr zunehmen, weil das Gaswerk dafür einfach beste Voraussetzungen bietet.

Doch neben dem Austausch bringt das Gaswerk für Kreativschaffende laut Enninger noch andere Vorteile mit sich: Die Verkehrsanbindung ist äußerst gut und die Mieten für Ateliers und Büroräume auf dem Gaswerk sind wesentlich günstiger als in der nicht einmal 60 Kilometern entfernten bayerischen Hauptstadt. Heißt: München ist nah, die Münchener Mieten sind es nicht. Mit dem Areal des Gaswerks soll eine Community entstehen. Von der alle profitieren. Kulturschaffende, Kreativschaffende, Agenturen, Unternehmen sowie Gründerinnen und Gründer.

Nur wie für Austausch auf diesem großen Areal sorgen? „Wir haben mehrere Netzwerktreffen organisiert – das war jedoch vor Corona“, sagt Anac. Dazu gibt es offene Ateliers in Zusammenarbeit mit der Stadt Augsburg. Alle Menschen aus Augsburg und Interessierte aus dem Umland sind zudem eingeladen, in den Räumlichkeiten des Gaswerks vorbeizuschauen. Verschiedene Stammtische sorgen ebenfalls für Austausch.

Die schon erwähnte Musicbox ist ein Teil des Gaswerksgeländes, bei dem sich zeigt, wie Kreativwirtschaft und Kultur zusammenkommen:  Auf vier von fünf Stockwerken finden sich 51 Proberäume für Musikschaffende der unterschiedlichsten Genres. Es kommt auf alle Bereiche an, sagt Anac, „wie bei einem Orchester“. Wenn da vier, fünf verschiedene Akteure fehlen, klingt das ganze Stück nicht nach dem, was es ist. Alle Teilmärkte der Kreativwirtschaft seien daher wichtig. „Wobei Musik schon eine große Rolle einnimmt.“ Der Werbemarkt und der Software- und Gamesmarkt sind große Teilmärkte – gleich danach folgt die Musikwirtschaft.


„Festival ist nicht gleich Festival“

Neben den Räumen für die Kreativwirtschaft und den Austausch hat das Gaswerk Augsburg längst auch über seine Stadtgrenzen hinweg einen Namen als Ausrichtungsort des renommierten Jugendkultur Festivals „Modular“ gemacht. Im Juni fand es gerade wieder statt – mit einem beeindruckenden Lineup: Neben bekannten Acts wie Bilderbuch oder Haiyti spielten vielversprechende Musikerinnen und Musiker wie Betterov oder Nina Chuba. „Ein Festivalgelände ist nicht gleich ein Festivalgelände“, sagt Patrick Jung. Der 33-Jährige ist Leiter des Modular Festivals, des größten nichtkommerziellen Jugend- und Popkulturfestivals in der Region Augsburg. Seit 2019 findet es auf dem Areal des Gaswerks statt, organisiert vom Stadtjugendring und gefördert von der Stadt Augsburg. Neben den Konzerten gibt es Workshops und Diskussionsrunden. In diesem Jahr kamen rund 27.000 Besucher zum Festival.

Der Umzug für das Festival auf das Areal kam laut Jung konkret erst 2017 auf den Plan, auch wenn die Stadtgemeinschaft schon vorher darüber nachdachte. „Wir haben 2018 zum ersten Mal dann intensiv daran gearbeitet, dass man ein Jahr später auch diesen Umzug hinbekommen kann.“ Jung und sein Team sind sehr dankbar über die Gestaltungsräume, die sich auf dem Areal des Gaswerks bieten. Die Macherinnen und Macher des Gaswerks bedachten die Anforderungen des Festivals in ihren Plänen und Entwicklungsmaßnahmen für das Areal.

Die enge Zusammenarbeit zwischen Stadtwerken und Modular Festival zahlt sich aus. So konnte zum Beispiel sichergestellt werden, dass genügend Stromanschlüsse da sind. Und auf dem Gelände nicht nur Headliner wie die Bands Giant Rooks oder Bilderbuch spielen, sondern auch privatwirtschaftliche Produktionen stattfinden können. „Da haben wir in das Ökosystem der swa KreativWerk als auch der Stadtwerke eingegriffen, saßen mit Bauplanerinnen und Bauplanern sowie Architektinnen und Architekten zusammen. Es hat viel mit einem Basis-Setup zu tun, was da geleistet wurde.“ Manchmal war es das Team des Modular Festivals selbst, das zuerst bei den Ämtern saß, um bestimmte Teile des Areals für das Festival zu erschließen – denn das Gaswerk steht bis heute unter Denkmalschutz.

Dieser Zustand des Wandels macht das Gaswerk für Jung überhaupt erst aus: „Dadurch, dass alles noch im Fluss ist, kann man selbst mitgestalten, hat die Möglichkeit, Dinge zu verändern. Und das zeichnet Kreativwirtschaft ja auch aus. Das ist ein elementarer und zentraler Standortvorteil.“ So kann das Modular Festival Alleinstellungsmerkmale schaffen, die andere Festivals nicht bieten. Auch die Atmosphäre auf dem Areal spielt eine wichtige Rolle – einen ähnlichen Charakter biete in Deutschland nur Ferropolis, ein Veranstaltungsort in Gräfenhainichen, wo mit dem Splash! das größte nationale HipHop-Festival stattfindet.


Erster Impuls durch die Brechtbühne

Doch das Gaswerk bietet noch mehr – zum Beispiel Ballett-Abende oder Theatervorführungen. Denn direkt nach der Fertigstellung der Bauarbeiten im Ofenhaus zog die Brechtbühne des Staatstheaters Augsburg dort ein. Neben Inszenierungen finden Werkstätten und ein eigener Ballettsaal auf 5500 Quadratmetern einen Platz. Es ist ein erster und wichtiger Impuls für das Gaswerk und die Kultur gewesen, wie die Stadt selbst schreibt. Bis zum Abschluss der Sanierung des Theaters in der Innenstadt bleibt die Brechtbühne im Ofenhaus.

Die zwei bisherigen Jahre der Corona-Pandemie bremsten die Entwicklung des Gaswerks – entsprechend war für Nihat Anac der schönste Moment auf dem Areal, als das Modular Festival in diesem Jahr seine Tore öffnete: „Auf einmal stehen vor der Bühne um die 7.000 Leute, feiern und tanzen. Das war so atemberaubend.“ Weil es nach dieser Zeit so unnormal normal wirkte. Doch auch den Moment der Eröffnung nennt Anac – im Januar 2019. Das Gaswerk übergab die Räume an das Staatstheater und an den Pächter der Gastronomie. In dem Restaurant Ofenhaus war Anac bereits mit vielen Gästen. „Die haben alle gesagt: Wenn man uns hierherführt, weiß man nicht, wo man sich befindet – New York oder Berlin? Aber niemand vermutet so ein Restaurant in Augsburg.“

„Und das ist das Großartige an diesem Gelände.“ Wer heute auf das Areal des Gaswerks blickt, erkennt: Dies ist ein bedeutender Standort für die Kreativwirtschaft, hier entsteht Einzigartiges wie Inspirierendes. Ein Ort des Wandels eben. Für das Areal und für die Menschen, die dort arbeiten und die diesen Raum erst ermöglichen.