Drei Tage, sieben Orte, Dutzende Teilnehmer, zahlreiche Programmpunkte und unzählige Gespräche: Das erste crossalpine Netzwerktreffen für Kreative „creativeALPS“ hat sein Ziel, die Kultur- und Kreativwirtschaft von Bayern und Österreich zu vernetzen, leicht erreicht. Mehr noch, die Zusammenarbeit der Institutionen Bayerisches Zentrum für Kultur- und Kreativwirtschaft, Wirtschaftsförderung Berchtesgadener Land, Standortmarketing-Gesellschaft Landkreis Miesbach, Oberland BarCamp, Munich Creative Business Week und Kreativwirtschaft Austria der Wirtschaftskammer Österreich hat aus einem einfachen Grund so gut funktioniert: Weil dahinter Menschen stehen, die sich in ihrem gemeinsamen Ziel einig sind, den Alpenraum behutsam zu entwickeln.

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Dreh- und Angelpunkt der Entwicklung sind Jens Badura und Matthias Leitner, die die Initiative creativeALPS ins Leben gerufen haben. Bei einer ersten Präsentation ihres creativeALPSlabs im November 2016 wurde das Bayerische Zentrum für Kultur- und Kreativwirtschaft auf ihre Arbeit aufmerksam. bayernkreativ vernetzte sie mit anderen Partnern, um ihren Ansatz mit den creativeALPS Tagen in eine nachhaltige Regionalentwicklung zu überführen.

Donnerstag, 8. März 2018: C hoch 3 Kreativ-Tour @ Bavaria

Vor sechs Wochen noch ein leer stehender Laden, der zuletzt als Ein-Euro-Shop genutzt worden war, jetzt der erste Co-Working-Space im Berchtesgadener Land: Zum Auftakt von creativeALPS ging es nach Freilassing ins „Kreativnest“. Mitten in der Stadt hat die Filmagentur Aurora Bytes mit Unterstützung der regionalen Wirtschaftsförderung und auf Anregung von bayernkreativ Räume geschaffen, die exakt am Tag vor der „C hoch 3 Kreativ-Tour @ Bavaria“ fertig wurden.

Coworking „Kreativnest“, Freilassing

Die gemeinsame Bustour der Kreativwirtschaftsfördereinrichtungen Österreichs und Bayerns – wegen des großen Interesses mit zwei Bussen – führte durch das Berchtesgadener und Salzburger Land. Lars Holstein von der Wirtschaftsförderung Berchtesgadener Land machte am Beispiel Aurora Bytes ein Problem deutlich, das in den kommenden Tagen ständig präsent war: Wie Unternehmen ansiedeln in einem Landkreis, dessen Fläche zu 60 Prozent unter (Natur-)Schutz steht? Kulturelle Wertschätzung und die behutsame Entwicklung des Alpenraums sind Anliegen, die die  Kreativen vor Ort mit den regionalen Wirtschaftsfördereinrichtungen bis hin zu den Ministerien verbinden.

Vordenker dieses Ansatzes ist Jens Badura, Philosoph und Kulturmanager. Direkt neben der Pfarrkirche St. Sebastian in Ramsau bei Berchtesgaden hat er vor einem Jahr im einstigen Mesnerhaus das berg_kulturbüro eingerichtet, einen öffentlichen Denk- und Kulturraum – und Sitz von creativeALPS. Hier werden die Alpen neu gedacht, als Lebens- und Wirtschaftsraum ebenso wie als touristische Destination. Badura hat neben der ökonomischen Wertschöpfung das transformative Potenzial im Blick, er sieht die Alpen als Inspirationsquelle und Experimentierfeld für montan-urbane Denkweisen und Lebensformen.

berg_kulturbüro, Ramsau

Wie gute Beispiele aus der Kultur- und Kreativwirtschaft mit null Flächenverbrauch funktionieren, machten die weiteren Stationen der Kreativ-Tour deutlich: Franz Keilhofer aus Bischofswiesen stellt seit zehn Jahren kunstfertig gedrechselte Unikate und Kleinstserien her, seit acht Jahren ist er selbstständig – aber er macht auf dem Bauernhof seiner Familie nur die Sachen, die ihm Freude bereiten. Um sich diese Freiheit zu erhalten, lässt er sich auf keine Dumping-Deals ein, die Masse garantieren, aber den Preis drücken.

Franz Keilhofer, Bischofswiesen

Polycular in Hallein spielt mit der Realität, die, wie der Mit-Gründer Robert Praxmarer ausführte, zu einem gewissen Grad eine Illusion sei, erzeugt von unserem Gehirn. Spielen, erziehen und inspirieren wollen sie mit ihren kreativen digitalen Lösungen, zu denen eine fühlende Pflanze ebenso gehört Apps, die Kinder zum Mitmachen und vor allem zum Lesen animieren. Nachhaltigkeit, Bildung und soziale Gerechtigkeit sind Themen, die Praxmarer und seinen Kollegen wichtig sind.

Polycular, Hallein

Dass auch eine vielfach ausgezeichnete Marken-, Design- und Werbeagentur wie Salić in Salzburg mitunter langen Atem braucht, gestand deren Gründer Christian Salić: Er berichtete von einem Kunden, dem er jahrelang unkonventionelle Ideen vorgeschlagen hatte, bevor sich dieser erstmals traute, das Feld der klassischen Werbemotive zu verlassen.

Agentur Salic, Salzburg

 

Diese Offenheit und die fachlichen Diskussionen aus der unternehmerischen Praxis waren es, die das Netzwerktreffen so wertvoll machte, bei der Bustour ebenso wie in den Gespräche der Teilnehmer untereinander.

Freitag, 9. März 2018: Barcamp Digitalisierung

Auf dem historischen Hasenöhrlhof in Bayrischzell trafen sich am zweiten Tag Teile der Gruppe vom Vortag und neue Teilnehmer: Im Rahmen der Munich Creative Business Week (MCBW) diskutierten auch Unternehmen anderer Branchen, etwa aus kleinen und mittelgroßen Digitalunternehmen der Region, den Nutzen von Kultur- und Kreativleistungen für Digitalisierungsstrategien.

Hochkonzentriert und gleichzeitig mit viel Spielfreude erarbeiteten die Teilnehmer in einzelnen Gruppen Fragen, die sie zuvor selbst formuliert hatten, so zum Beispiel: Wie lässt sich eine Plattform für Handwerk und Kreatives im ländlichen Raum schaffen? Was kommt dabei heraus, wenn Kreativität und Digitalisierung gekoppelt werden?

Session beim Barcamp, Hasenöhrlhof in Bayrischzell

Alexander Schmid, Geschäftsführer der SMG, der Standortmarketing-Gesellschaft Landkreis Miesbach, rückte auf dem Hasenöhrlhof die gängige Meinung zurecht:

„Die ländliche Entwicklung ist nicht nur Landwirtschaft!“

Wie sich auch ein ländliches Unternehmen auf einem Weltmarkt behaupten kann, das zeigte denn auch der Besuch bei der Büttenpapierfabrik Gmund am Tegernsee am dritten Tag, ebenfalls im Rahmen der MCBW.

Samstag, 10. März: MCBWmeetsMB#Symposium

In welchen Bereichen, mit welchen Ideen kann sich der Landkreis Miesbach sinnvoll weiterentwickeln, mit wenig Flächenverbrauch, außerhalb des Tourismus? Beim zweiten Designsymposium des Oberlands erfuhren die Gäste am Beispiel der Büttenpapierfabrik Gmund im engen Tal des Flusses Mangfall, dass es sehr wohl möglich ist, mit Können zu überzeugen, sich dabei treu zu bleiben – und auch räumlich vernünftig zu wachsen, zur Not mit einem gewagten Anbau über den Bach, um die über 100 Jahre alte Druckmaschine der ersten Stunde erweitern zu können. Die Philosophie hat sich bewährt: So kommt aus Gmund zum Beispiel das Papier für die goldenen Umschläge der Oscar-Verleihung.

Büttenpapierfabrik Gmund

Das eigentliche Symposium eröffnete Ilse Aigner, Staatsministerin für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie. Sie machte deutlich, dass Kreativität mitnichten in den Städten daheim ist, ganz im Gegenteil:

„Sie hängt an Menschen – und die brauchen ein kreatives Umfeld!“

Aber wie können Design und Handwerk die Region stärken? Christopher Böllinger, Moderator des Symposiums und Vorsitzender des Designzentrums Münchens, stellte diese Frage an den Anfang des anschließenden Vortragsblocks.

Ähnlich wie William Morris mit seiner Arts-and-Crafts-Bewegung haben sich die Handwerker des Bregenzer Waldes darauf besonnen, was sie wirklich können. Das Ergebnis war der werkraum, die moderne Verbindung von Ausstellungsraum, Anlaufstelle und Gastwirtschaft, in dem Handwerker und potenzielle Kunden aufeinander treffen. Geschäftsführer Thomas Geisler berichtete von den Anfängen, von Schwierigkeiten – und von Chancen, die auch heute noch, 20 Jahre nach dem Start, den einen oder anderen Zweifler dazu bringen, Mitglied zu werden. Ein Designpreis oder die Möglichkeit, statt zu konkurrieren gemeinsam große Aufträge zu schultern, sind Ergebnisse des Zusammenschlusses.

In eine ähnliche Richtung geht der Ansatz von Kuno Prey, Professor an der Fakultät für Design und Künste an der Freien Universität Bozen: Seine Studierenden haben analysiert, was das ursprüngliche Südtiroler Handwerk ausmacht, haben Elemente extrahiert und neu interpretiert, in der modernen Garderobe mit der Kontur der Bergkette Drei Zinnen in den Dolomiten ebenso wie beim Schaukelpferd mit seinen Holzdübeln oder dem Frühstücksbrett mit geschnitzter Verzierung wie an einem Stadel.

Symposium, Gmund

Welche Chancen bietet Upcycling, die Verwendung von ausgedienten Gegenständen in neuem Kontext? Wie soll ein Kreativzentrum im Oberland aussehen? Welche neuen Ideen gibt es für Gmunder Papier? Um Fragen wie diese ging es am Nachmittag in den Workshops. Wie kann die Kultur- und Kreativwirtschaft zur Entwicklung der Berggebiete beitragen? Das diskutierte Jens Badura mit seiner Gruppe. Er wie auch die anderen Referenten stellten Ansätze, Richtungen und Ergebnisse in der Abschlussrunde vor.

Mit zwei klaren Ergebnissen: Das Oberland braucht ein Kreativzentrum – und wird es wohl auch bekommen, das war klar heraus zu hören.

Und creativeALPS soll weitergehen. Diese Entwicklung hatte sich vom Anfang der neuen deutsch-österreichischen Kooperation an herausgestellt, sie hatte im Laufe der einzelnen Veranstaltungen immer mehr an Kontur gewonnen: Die Kooperation soll ausgebaut werden, Elemente der Partner sollen im jeweils anderen Land eingesetzt werden.

„Wir haben mit dieser Premiere deutlich mehr erreicht als erhofft“, sagte Dirk Kiefer, Leiter von bayernkreativ, am Ende des Netzwerktreffens, das mit einem mächtigen Feuer unter dem Titel „Burning4Design“ am Abend auf Gut Kaltenbrunn endete:

„Wir haben nicht nur die Kreativen vernetzt, sondern auch eine Zusammenarbeit über die Ländergrenze hin gestartet. Jetzt wird es richtig spannend!“


Auch unsere Kolleginnen in Österreich haben einen schönen Rückblick erstellt, den wir Euch gerne als weiteren Lesestoff empfehlen wollen.