IHKs sind  konservativ und verstaubt? Die IHK Schwaben räumt mit alten Vorurteilen auf und hat mit einem Barcamp für Kultur- und Kreativschaffende in Augsburg einen vielbeachteten Akzent gesetzt.

Christoph Hübner ist Schreiner. Und seit kurzem auch Produkt- und Objektdesigner. Mit seinen Unternehmen „Die Raumwerker“ und „Studio für Gestaltung“ will er Handwerk und Form verbinden. Doch egal in welchem Bereich und für welchen Auftraggeber er arbeitet, versteht er sich in erster Linie als Gestalter – und damit weniger als Vertreter einer traditionellen Berufsgruppe, sondern als Kreativer. „Ich habe schon als Schreiner versucht, im künstlerischen Bereich zu arbeiten, wenn es die Auftragslage ermöglicht hat. Seit Abschluss meines Studiums interessiere ich mich verstärkt für den Entwurf und die Serienfertigung meiner Produkte und die Zusammenarbeit mit der Industrie.“ Um Gleichgesinnte und potenzielle Kunden kennenzulernen, folgte der junge Kreativunternehmer aus Aitrach bei Memmingen einer Einladung der IHK Schwaben zum „Kreativcamp Schwaben“. „Außerdem war ich natürlich neugierig, welche Angebote die IHK für uns hat. Ich war zwar schon bei ein paar IHK-Veranstaltungen, aber eigentlich ist sie  für mich als Schreiner und freischaffenden Künstler ja gar nicht zuständig“, so Hübner.

Ein Wollknäuel zum Autakt…

Mit dem ersten Kreativcamp und dem innovativen Tagungsformat „Barcamp“ (Erläuterung siehe unten) wollten der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der IHK Schwaben Dr. Peter Lintner und seine Mitarbeiterin Ulrike Weber Kreative und Kulturschaffende aus ganz Schwaben kennenlernen und ihre Bedürfnisse an eine moderne Industrie- und Handelskammer abfragen. Mit dem Format Barcamp gingen die beiden Initiatoren des Camps aber gleich einen Schritt weiter: Sie wollten Kreativität gemeinsam mit den Teilnehmern weiter denken, Ideen vernetzen und Erfahrungen austauschen.

„Ich gebe zu, dass ich erst durch zahlreiche Aktivitäten in unserem Umfeld wirklich auf die Branche Kultur- und Kreativwirtschaft aufmerksam geworden bin“, gestand der überaus interessierte und engagierte stellvertretende Hauptgeschäftsführer der IHK Schwaben bei seiner Begrüßung der rund 80 Kreativen aus ganz Schwaben unumwunden. „Doch dann haben Frau Weber und ich uns sofort vorgenommen, gerade vor dem Hintergrund des Gesamtinteresses aller Gewerbetreibenden unseres Bezirks, dass wir die Kultur- und Kreativschaffenden so schnell wie möglich besser kennenlernen wollen. Denn von einer guten Zusammenarbeit profitieren alle Unternehmen in unserem Bezirk.“

Die IHK hat im Wesentlichen drei Aufgaben: Beraten, Bilden, Bündeln. Dabei vertritt sie das Gesamtinteresse aller Unternehmen.
(Dr. Peter Lintner, stellvertretender Hauptgeschäftsführer IHK Schwaben)

Dr. Lintner und Ulrike Weber gelang es schnell, mit Simon Schnetzer einen erfahrenen Barcamp-Moderator zu gewinnen. „Wer ist Musiker? Wer kommt aus der Filmbranche? Und wer ist Designer?“ Schon nach wenigen Minuten waren alle 80 Kreativen von verschiedenfarbigen Wollfäden umgarnt – und mit den Vertretern aus anderen Teilbereichen vernetzt. Dem Leiter der Kemptener Gründervilla gelang es mit einer erfrischenden Moderation, alle zur aktiven Teilnahme am Barcamp zu motivieren. „Seht ihr, so einfach funktionieren Netzwerke!“, lud er alle Teilnehmer ein, Ihre Vorschläge für die Barcamp-Sessions vorzustellen. Schnell bildeten sich mehr als ein Dutzend Workshops zu Themen wie „Was braucht die Kreativwirtschaft (von der IHK)“, „Mission Future“, ein Kommunikationskonzept für den Klimaschutz, „Webseitensicherheit“ und „Fallstricke der Corporate Identity“. Johanna Lison, Expertin beim Bayerischen Zentrum für Kultur- und Kreativwirtschaft, brachte zwei Themen ein. „Bei unseren Beratungen werden wir immer nach der Künstlersozialkasse und nach dem Urheber- und Medienrecht gefragt. Ich möchte Euch Gelegenheit geben, eure Fragen direkt an einen Rechtsexperten zu stellen!“, warb sie für Ihre Sessions mit Dr. Christian Kuntze, dessen Kanzlei unter anderem auf Medienrecht spezialisiert ist. Dr. Peter Lintner zeigte sich beeindruckt vom Konzept des Barcamps und ermutigte die Teilnehmer dafür, sich mit ihren Anliegen verstärkt an die IHK Schwaben zu wenden. Und auch Christoph Hübner war positiv überrascht vom Kreativcamp der IHK: „Ich kann zwar nicht direkt von der Teilnahme profitieren, habe aber auf jeden Fall mein Netzwerk ausgebaut. Schon das ist wichtig, weil es auf dem flachen Land wenig Kontaktmöglichkeiten zu anderen Kreativen gibt. Deswegen bin ich gespannt auf weitere Angebote der Kammer und von bayernkreativ.“

(1) … Die IHK hat die Aufgabe, das Gesamtinteresse der ihr zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirks wahrzunehmen, für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu wirken und dabei die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen. Dabei obliegt es ihr insbesondere, durch Vorschläge, Gutachten und Berichte die Behörden zu unterstützen und zu beraten, für Wahrung von Anstand und Sitte des ehrbaren Kaufmanns zu wirken und die ihr sonst durch Gesetz oder Rechtsverordnung übertragenen Aufgaben zu erfüllen … (Satzung der Industrie- und Handelskammer Schwaben – § 2 Aufgaben)

Eine im Februar 2016 vom Wirtschafts- und Finanzreferat der Stadt Augsburg herausgegebene Studie zur Kultur- und Kreativwirtschaft kann unter diesem Link heruntergeladen werden
http://www.wirtschaft.augsburg.de/fileadmin/wirtschaftsportal/content/aktuell/2016/KuK_Bericht_Soendermann_2016.pdf

Einen kleinen Videobeitrag über das Barcamp hat die IHK Schwaben auf Youtube online gestellt

 

 

++Hintergrund++

Barcamp: Was ist das eigentlich?

Wir haben Wikipedia befragt (https://de.wikipedia.org/wiki/Barcamp) Ein Barcamp ist eine offene Tagung mit offenen Workshops. Inhalte und Ablauf werden von den Teilnehmern selbst entwickelt. Barcamps dienen dem Austausch und der Diskussion, können aber am Ende der Veranstaltung auch konkrete Ergebnisse zeigen. Die Vorträge und Diskussionsrunden  – die sogenannten Sessions – werden durch die Teilnehmer selbst koordiniert, die gleichzeitig aufgefordert sind, einen eigenen Vortrag zu halten oder zu organisieren. Die Teilnahme ist meist kostenlos aber oft aus Platzgründen limitiert, weshalb eine vorherige Anmeldung notwendig ist. Die Kosten der Veranstaltung und für Verpflegung werden von Sponsoren getragen. Auf vielen Barcamps ist es sogar möglich, am Veranstaltungsort im eigenen Schlafsack die Nacht zu verbringen. Da zu Barcamps oft zahlreiche Teilnehmer kommen, werden zur Moderation Großgruppenmethoden eingesetzt. Bewährt hat sich die Open Space-Methode: Die Teilnehmer geben eigene Themen ins Plenum und gestalten dazu je eine Arbeitsgruppe. In dieser werden mögliche Projekte erarbeitet. Die Ergebnisse werden am Schluss gesammelt. Dabei entstehen nicht selten Projektideen, die nach dem Barcamp praktisch umgesetzt werden. Eine zentrale Aufgabe bei einem Barcamp kommt dem Moderator zu, der das Plenum am Beginn moderiert, und im Schlussplenum gemeinsam mit den Teilnehmern das gute Gelingen feiert. Wichtig ist auch die Infrastruktur, die für funktionierende Netzwerke und Hardware sorgt, für ausreichend Stifte, Packpapier, Klebeband, aber auch für Getränke und Verpflegung. Auch die Sammlung und Verteilung der Ergebnisse bedarf einer guten Struktur. Der Erfolg der Veranstaltung hängt letztlich an der Fähigkeit der Veranstalter, nach dem Barcamp die Projektgruppe bei der Umsetzung ihrer Ideen zu unterstützen und zu begleiten.